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65. Sehnsucht nach dem Frühling.
. O wie ist es kalt geworden
Und so traurig, öd und leer!
Rauhe Winde wehn von Norden,
Und die Sonne scheint nicht mehr.
2. Auf die Berge möcht ich fliegen,
Möchte sehn ein grünes Tal,
Möcht in Gras und Blumen liegen
Und mich freun am Sonnenstrahl;
Möchte hören die Schalmeien
Und der Herden Glockenklang,
Möchte freuen mich im Freien
An der Vögel süßem Sang.
*2*
Schöner Frühling, komm doch wieder,
Lieber Frühling, komm doch bald,
Bring uns Blumen, Laub und Lieder,
Schmücke wieder Feld und Wald!
5. Ja, du bist uns treu geblieben,
Kommst nun bald in Pracht und Glanz,
Bringst nun bald all deinen Lieben
Sang und Freude, Spiel und Tanz.
Hoffmann von
Fallersleben.
6b. Ein gules Rezept.
1. In Wien der Kaiser Joseph war ein weiser und wohltätiger
Monarch, wie jedermann weiß. Aber nicht alle Leute wissen, wie
er einmal der Doktor gewesen ist und eine arme Frau kuriert hat.
2. Eine arme, kranke Frau sagte zu ihrem Büblein: ‚Kind,
z hol mir einen Doktor, sonst kann ich's nimmer aushalten vor
Schmerzen.“ Das Büblein lief zum ersten Doktor und zum zweiten,
aber keiner wollte kommen; denn in Wien kostet ein Gang zu einem
Patienten einen Gulden, und der arme Knabe hatte nichts als Tränen,
die wohl im Himmel für gute Münze gelten, aber nicht bei allen
10 Leuten auf der Erde.
3. Als er aber zum dritten Doktor auf dem Weg war oder
heim, fuhr langsam der Kaiser in einer offenen Kutsche an ihm