Full text: Deutsches Lesebuch für die lateinische Schule und die beiden unteren Kurse des Realgymnasiums

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und hielt den Atem an. — Aus der Mitte der Versammlung stürzte 
ein junger Mann unieder und rief: „Ich bin's!“ — Nachdem man 
ihn aufgehoben, gestand er reumütig seine That, wie er in der 
Stadt das Geld des Herrn, bei dem er gedient, verspielt habe; wie 
er den Fremden, den er nur habe niederwerfen wollen, ermordet 
habe; wie das Posthorn ihn verwirrt, wie er seine Hand brennend 
gefühlt, wie er sie zu Himmel erhoben und wie jetzt dieselben Töne 
des Posthorns ihm das Geständniß abgepreßt hätten.? 
EStill, ohne laute Klage, nur mit leisem Weh im Herzen hatte 
sich der Zug den Berg hinabbewegt; mit zitternder Seele, Traͤnen 
in den Augen, laut das Unheil beklagend, kehrten viele heim — Zwei 
Menschen waren auf ewig aus der Genossenschaft der Menschen 
geschieden.? Auerbach. 
2. Das Bild des Großvaters. 
Zu den Zeiten unserer Väter saß am hohen Thore von Danzig 
ein alles Mütterlein, Namens Else, die in einer hölzernen Bude ein 
kleines Waarenlager von Nürnberger Spielsachen, bunten Bilder— 
bogen und einigem alten Gerümpel feilbot. 
Die Bude war ganz morsch und gebrechlich wie das alte Mütter— 
chen; diese saß hier als Braut, als junge, blühende Frau, als Mutter. 
Sie trauerte hier als Witwe; sie saß hier mit bleichem Angesicht 
und rotgeweinten Augen, als sie ihr letztes Kind begraben hatte.“ 
Alle ihre Freuden und alle ihre Schmerzen hatte sie hier durchlebt, 
geduldig in Trübsal, dabei aber fröhlich in Hoffnung auf die Hilfe 
des Herrn. Nun aber wurden ihre letzten Tage immer trauervoller; 
denn nur selten noch blieb ein Käufer vor der kleinen Bude stehen, 
ja oft, sehr oft mußte sie abends ihr kleines Waarenlager schließen, 
ohne einen Groschen gelöst zu haben. Da mußte sie denn freilich 
darben und entbehren. Sie hatte zwar nie elwas von Wolleben 
geschmeckt, aber immerdar noch so viel errungen, um des Leibes 
Leben von einem Tage zum andern fristen zu Ünnen. 
Jetzt aber war ihre Not überaus groß geworden; denn schon 
seit drei Tagen hatte sie auch gar nichis verkauft, und doch war 
die Miete fuͤr die kleine Kammer, worin sie nachts schlief, fällig. 
Zwar machte ihr diese Schuld gerade nicht so großen Kummer; 
denn sie wohnte bei armen Leuten, die selbst den Mangel und die 
Vot nur zu gut kannten und die deshalb mit der noch ärmeren 
Alten Nachsicht hatten bis auf bessere Zeit. Aber der Mann, von 
dem sie die Spielsachen und die bunten Bilder bezog, war, obwol 
Diese koordinierten Sätze (wie er — wie es eꝛc, ꝛc.) bilden eigentlich die 
Umschreibung des Wortes Thann2 Das Gewissen, an und für fich gewaltig, 
hier durch einen äußern Zufall, den Klang des Posthorns, zum zweilenmal ge— 
weckt, übt seine ganze enssetzliche Macht auf den Verbtecher aus. Ein Abschluß 
pon unnachahmlich schöner Kürze und reichem Inhalt! — durch den Tod ver— 
loren; ühnlich wicd im Lat. ekkerre und om ponere gebraucht.
	        
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