Bewegung der Pflanzen.
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Kreise. Am schönsten sieht man es an windenden Stämmen, so
an dem Hopfen, mag er nun wild den Waldrand überspinnen oder
an seinen hohen Stangen emporkriechend mit seinem feinen Dufte
das Herz des Züchters erfreuen. Man sehe die herrlichen Gir-
landen, die er bildet, nur näher an. Immer zieht sieh der Gipfel-
sproh in weiten VWindungen um den überfallenen Ast, den er
schlieblich ersticken wird.
5. Jede Blume nimmt teil an dieser Beweglichkeit, jedes
Blättchen verrät dadureh sein Leben. Am schönsten sieht man
es, wenn man im letzten Abendlicht oder vor Sonnenaufgang über
die Wiesen und Felder geht. Tags zuvor waren sie noch übersät
mit den weihen Sternen der Vogelmiere und der Gänseblümchen,
gestickt mit prangendem Blau und Rot der Glockenblumen und
Lichtnelken, leuchtend im brennenden Gelb des Fingerkrautes —
und jetzt ist alles verschwunden im eintönigen, kalten Blaugrün
des Trühmorgens. Sind die Blumen unter die Erde gesunken?
Nein, aber sie schlafen noch. Die meisten Blüten schlieben des
Nachts ihre Blumenblätter, ja manche, so Z. B. die Glocken-
blumen, die Stiefmütterchen oder die Möhren, lassen das Blüten-
köpfehen sogar wie verwelkt herabhängen. Deshalb ist die Blumen-
pracht des Nachts verschwunden, und erst dié Morgensonne er—
weckt sie von neuem. Aber nicht alle Pflanzen schliehen und
öffnen ihre Blüten zu gleicher Zeit, so daß man aus diesom Wechsel
eine Blumenuhr zusammenstellen Konnte, die dem Kundigen durch
ihre Regelmäbigkeit die Zeit verrät. Auch als Wetterpropheten
bewãhren sie sich, denn auch bei herannahendem Regen verändert
sieh die Wiese und schlieht vorsorglich ihre tausend Blumenkelche.
Nicht minder auffällig sind die Schlafbewegungen der Blätter.
Wer sich nicht die Mühe verdrieben läßt, einmal spät abends zu
einem Kleefeld zu wandern oder zu den Esparsetten oder vor das
Dorf, wo tagsũüber die zartrosa Kronenwicken tausend Bienen an-
lockten, wo der gelbe Hornklee und der violette Schneckenklee
steht, wird bei allen diesen dureh einen der eigentümlichsten An-
blicke belohnt. Wie fröstelnd sind sie zusammengeschauert, wie
schlaftrunken sind sie eingenickt. Die Blättchen drücken sich
eng aneinander und stehen schräg nach aufwärts. die haben nach
Sonnenuntergang ihre Nachtwendung vollführt.
6. Jedes Teilchen einer Pflanze zeigt auch sonst unzwei-
deutig, das es lebt, wenn in nichts anderem, so in dem Hunger
nach belebendem Licht. Nur durch das Lächt können die grünen
Pflanzenteilo sich ernähren, und deshalb scheuen sie keine An-
strengung, um zu dem Lichte zu gelangen. Die Pelargonien, die
Fuchsien, dieé Kresse, die Begonia, die Blattpflanzen, die unsere
FPenster schmũücken, sie sehen alle zum Penster hinaus. Reine
ihrer Blüten nickt uns zu, alle begrühen das Licht. Die Blattstiele
krümmen sieh manchmal auf die wundersamste Weise, nur damit