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349. Der Wirt muß vorauf.
(Von einer Landwirtin.)
Du wunderst dich, daß meine Leute noch keinen Kaffee trinken und
überhaupt so ordentlich sind? O, mein liebes Kind! ich kann, was ich will,
und der Henker sollte mir den Dienstboten holen, der mir ein einzigesmal
über die Schnur hiebe! Ordnung im Haushalte ist keine Hexerei, und ich
habe ein so sicheres Mittel, meine Leute vom Kaffee abzuhalten, daß ich
alles in der Welt drauf wetten will, sie trinken ihn nicht. Das Schnackigste
aber ist, daß ich dieses Mittel von meiner Viehmagd gelernt habe. Diese
wollte, wie ich meinen Mann gcheirathet hatte und wir unsre Pachtung
antraten, nicht früh genug aufstehen, und wie ich sie darüber zur Rede
stellte, gab sie mir zur Antwort: »By us moct der Wert vorupp!" Dies
schallte mir durch die Ohren, und auf einmal erleuchtet fühlte ich die
ganze Wahrheit, daß alles in der Haushaltung durch einen guten Vorgang
gezwungen werden müsse, und daß es eine Thorheit sei, sich um acht Uhr
aus dem Bette zum Kaffee wecken zu lassen und von dem Gesinde zu
fordern, daß es um drei Uhr an der Arbeit sein und sich nicht auch eine
verstohlene Freude machen sollte. Wie es den andern Morgen drei schlug,
sagte ich darauf zu meinem Manne: „Der Wirt muß vorauf!" und so
wie er dieses einigemal gethan hatte, war alles Gesinde so geschwind bei
der Hand, daß ich seit der Zeit nicht nöthig gehabt habe, ein einzigesmal
mit der Viehmagd über ihren langen Schlaf zu schmälen. Anfangs siel es
uns etwas hart, so früh die warmen Federn zu verlassen. Wie wir es
aber erst eine Zeit lang gethan hatten, war es uns nicht möglich, lange
über die gewohnte Zeit darin zu verweilen; und wenn ein Feiertag uns
eine Stunde später aufforderte, so waren wir doch zu rechter Zeit müntcr
und feierten ihn nicht in süßem Träumen. Jeder Feiertag war uns dann
doppelt willkommen, und wir freuten uns oft seines Anbruchs.
Nun, mein Kind! weißt du mein ganzes Geheimnis, und wenn du
dasselbe wohl anwendest, so wirst du nicht nöthig haben, dich über Unord¬
nung im Haushalt zu beschweren. Andern zu befehlen und Vorschriften
zu geben, ist keine Kunst; man muß vorausgehen, wenn andere folgen
sollen, auf die Bresche wie auf die Dresche; und der Soldat lacht über
den Hauptmann, der ihm hinterm Eichbaum befehlen will, als ein braver
Kerl die Sturmleiter hinauf zu klettern. So handeln aber unsre mehrsten
Haushälter; sie selbst wollen schlafen, Kaffee trinken.und hinterm Ofen
sitzen, das Gesinde aber soll sich quälen und schlecht behelfen. Das geht
nicht und wird in Ewigkeit nicht gehen, der Wirt muß vorauf. Nächstens
ein mehreres und damit Gott befohlen. I. Möser.
350. Eine Geschichte vom Schweinehirten.
Bei einem Dorfe in der Markgrafschaft Ancona lebten eine paar arme
Bauersleute, die hatten einen Sohn, der hieß Felix. Dieser Knabe hatte
zwar einen guten Verstand, weil er aber sehr arm war, mußte er die
Schweine im Felde hüten. Felix ward von seinen Eltern immer angehalten,
gegen jedermann gefällig, zuvorkommend und freundlich zu sein. Die an¬
dern Knaben im Dorfe verachteten aber den Schweinehirten und waren