47. Das Renntier. 75
endlich einen zur Winterrast geeigneten Ort. Hier baut er seine Hütte.
Dabei sucht er gern die Nähe einer geschützten Schlucht, wo Birke und
Kiefer wachsen, wo ein Bach niederstürzt, und er baut dann diese Hütte
etwas fester als das leichte Sommerzelt bedeckt sie von außen mit
Rasen, bekleidet sie innen mit den Fellen des Tieres, dem er alles ver⸗
dankt, und erwartet nun, umringt von seinen Vorräten, die weiße,
warme Decke, welche der Himmel ihm aus den Wolken schickt. Der
Schnee fällt meterhoch; aber das Renntier achtet das nicht. Es weiß
mit seinen Hufen die Hülle fortzuscharren, weiß die Kräuter und Moose
darunter zu finden und irrt auf diesen ungeheuren Schneefeldern umher,
ohne je eines Stalles oder einer Wartung zu bedürfen.
3. Neben dem Wohnplatze des Lappen steht meist noch ein Zelt.
Hier speichert er auf, was er an Mehl, Fellen und Geräten besitzt.
Gewöhnlich aber hat er nichts als einige hölzerne Schüsseln, einen Kessel,
einige Kleidungsstücke, einige Pelzdecken, und an den Zeltstangen hangen
die Renntiermagen, worin er seinen Milch— und Käsevorrat verwahrt.
Auf einer andern Seite der Hütte ist aus Pfählen eine Art Hürde ge⸗
macht, in welcher die Renntiere des Tages zweimal gemolken werden.
Dies ist das Anziehendste für den Fremden. Die Hunde und Hirten
seiben die Herde herbei, und die schönen Tiere mit den klugen, milden
Augen bilden einen Wald von Geweihen. Die Kälber umringen die
Multter, und die jungen Tiere erproben spielend und stoßend ihre Kraft.
Beim Melken wird jedem Tiere eine Schlinge übergeworfen, damit es
stille steht; diesen Zügelriemen gebrauchen die Lappen mit bewunderns—
würdiger Geschicklichkeit. Das Renntier giebt wenig Milch; aber sie ist
fetter als jede andere und außerordentlich nahrhaft. Jedes Mitglied
der Familie bekommt seine Portion; ein anderer Teil wird zu der täg⸗
lichen Suppe verwendet, welche mit Mehl oder auch mit Renntierblut und
Fleisch gemischt eine wohlschmeckende, stärkende Speise gewährt; der Rest der
Milch wird zu Käse gemacht. Im Winter läßt man die Milch wohl auch
gefrieren, so daß man sie in Tafeln schneiden kann. Sie verliert dabei
Zurchaus nichts von ihrer süßen Frische und ist namentlich auf Reisen ein
sehr dienliches Nahrungsmittel. Fleisch und Milch des Renntieres ist über⸗
haupt die wichtigste Nahrung des Lappen, und nur durch die Kräftigkeit der—
selben wird es ihm möglich, die Furchtbarkeit des Winters zu überdauern.
4.0 Das Renntier ist ausgewachsen so groß wie ein starker Hirsch.
Braten und Keule schmecken ähnlich wie Hirschbraten; das Fleisch ist
aber röter, weicher und saftiger. Die Keulen werden auch geräuchert
und als Renntierschinken weithin versandt.