Full text: Lesebuch für Fortbildungsschulen

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derselben. Die daraus entstehende Unmöglichkeit, die Fuhrwerke gehörig 
zu beladen, vervielfältigte die Fahrten und veranlaßte viel Zeitverlust, 
oft kamen Rad- und Wagenbrüche vor. Mit dem Winter wurden die 
meisten Wege ganz unfahrbar, und da kein Fuhrwerk mehr aufs Feld ging, 
so hörten auch die Arbeiten im Dorfe auf, was die Folge hatte, daß die 
Einwohner den größten Teil des Tages in den Schenken zubrachten. Aber 
auch die Stadt wurde alle Wochen besucht von Mann und Frau, sowie 
man auch allen Märkten der umliegenden Dörfer auf vier oder fünf 
Stunden im Umkreise nachlief. 
In den Kneipen, auf den Messen und Märkten, bei allen Volksver⸗ 
sammlungen zeichneten sich die Schönfelder durch grobe Reden und Streit⸗ 
fucht aus, und es kam nicht selten zu Schlägereien. Bei ihrem zänkischen 
und streitigen Wesen vermied man es auch sonst, sich mit ihnen einzulassen. 
Einige Bürger der Stadt wären gern geneigt gewesen, das Gefäll des 
obenerwähnten Baches nutzbar zu machen; aber sie scheuten sich, mit so 
ungeselligen Nachbarn in Verhandlung zu treten. 
Dies war der Zustand der Gemeinde, als der Doktor es unternahm, 
denselben zu verbessern. 
Ehe er sein großes Vorhaben in Angriff nahm, berechnete er alle 
Folgen. Es konnte nicht zweifelhaft sein, daß, wenn es ihm gelang, ver— 
nünftigeren Ansichten in der Gemeinde Bahn zu brechen, auch der Geist 
und die Sitten sich ändern würden. Aber er war sich auch wohl bewußt, 
mit welchen Schwierigkeiten er würde zu kämpfen haben, welche Hindernisse 
ihm Vorurteil, Trägheit, Eifersucht, Verleumdung bereiten, und wie er 
für eine Zeitlang seine Ruhe und seinen Frieden opfern müsse. Dieser 
Kampf schreckte aber den für seine Idee begeisterten Mann nicht zurück. 
Komme ich nicht ans Ziel, dachte er, so erreichen es andere nach mir. 
Übrigens sah er wohl ein, daß er allein einer so großen Aufgabe nicht 
gewachsen sei. Bescheiden, wie alle Männer von wahrem Verdienst, begriff 
er, daß er sich nach Hilfe umsehen müsse, und sich solche zu verschaffen 
war daher die erste seiner Sorgen. Rapet⸗Mayher. 
25. Ein wohlhabendes Dorf. 
In das Gebiet der Gemeinde gehörte auch das Besitztum eines 
reichen Mannes mit Namen Hofwann, bestehend aus einem hübschen 
Landgut mit Schlöbehen; er selbst wohnte jedoch in der Stadt 
und kam nur in der schönen Jahreszeit manchmal heraus. Der 
Qharakter der Schönfelder und der Anblick ihres Elends waren ihm 
ꝓuwider. Pr hatte den guten Willen, Hilfe zu leisten, wo es not 
that, sah aber wohl ein, dab seine Woblthätigkeit dem UÜbel nie 
an die Wurzel kam. Arbeitsam und beharrlich, aber schüchtern 
und sehwer von Entschlub, hätte er nie das Werk begonnen, das 
sich Doktor Auer zur Aufgabe machte. 
Dieser aber begriff, welehen Beistand er bei einem Manne 
finden könne, der Glücksgüter und die erforderliche Mube neben 
Deutsches Lesebuch für Fortbildungsschulen. (Emil Roth in Gießen.) 3. Aufl.
	        
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