Full text: Lehr- und Lesebuch für weibliche Sonntags- und Fortbildungsschulen

— 113 — 
auch die Ruhe. Die Mutter hob uns herab vom Arm und Schoße; 
sie legte uns liebend und sanft in die Wiege. — Starr und bleich 
und gebrochen an Kraft und Bewegung sind wir im Tode. Man 
legt uns hinein in den Sarg; denn wir selbst können uns nicht 
belten. — Wiege und Sarg — an beiden wird geweint. Wer 
kennt nicht die Tränen der Freude, die im Vater- und Mutterauge 
glänzen, wenn es auf die Wiege des Kindes blickt? — Wer kennt 
nicht die Tränen des Schmerzes, welche in dem Auge des Kindes 
glänzen, wenn es am Sarge der Eltern steht? — Eltern legen ihre 
Kinder in die Wiege und in der Regel legen die Kinder ihre Eltern 
in den Sarg. Träuen gibt's hier wie da. — Wiege und Sarg 
— an beiden wird gehofft. Ja, Hoffnung regt sich im Herzen, 
süße Hoffnung leuchtet uns entgegen, wenn wir an der Wiege un— 
serer Lieblinge stehen. Mit ihnen hoffen wir durchs Leben zu gehen. 
Durch sie gedenken wir ein reines Band zu knüpfen für die Erde 
und Glück, Freude und Wonne in ihnen zu finden. — Im Tode 
ist dieses Band zerrissen; aber wir hoffen mit Zuversicht, es werde 
in der Höhe wieder dauerhaft befestigt werden. Und diese Hoffnung 
ist am Sarge unser Trost, unser Anker, unser Rettungsstern. — 
Wiege und Sarg — an beiden wird gebetet. Fromme Wünsche, 
Gedänken und Gefühle steigen aus dem Herzen der Eltern zum 
Himmel auf, wenn sie an dem harmlosen Laäger des Kindes aun 
Um Glück und Segen für den Liebling beten sie zu Gott. — Auch 
an dem Sarge beten wir. Wir beten für den Toten. Wir beten 
für ihn um ein gnädiges Gericht, um Himmelsfrieden und Selig— 
keit. Wir beten für uns um Weisheit für das Leben und für ein 
seliges Sterben. 
Wiege und Sarg — immerdar werdet ihr Menschen bergen! 
Oft, ach — steht ihr nahe aneinander, oft kaum eine Spanne weit 
getrennt. Doch nahe oder fern, ihr beide seid Wiegen; die eine: 
Wiege für die Erde, — die andere: Wiege für den unn 
ürkert. 
76. Gebet um Unschuld. 
Sei gegrüßt mit deinem Frieden, 
sei gesegnet, holde Nacht, 
die den Schwachen, Arbeitsmüden 
süßen Schlummer stets gebracht! 
Schmerz und Harm und Sorgen schweigen, 
sinkt der laute Tag ins Grab, 
und des Himmels Engel steigen 
leis' in unsern Traum herab. 
Lehr- und Lesebuch für weibl. Sonntags- u. Fortbildungsschulen.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.