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die gabenspendende, hohe Frau,
bom Wariburgschloß auf die grüne Au.
Sie trägt ein Körbchen, es ist verhüllt,
mit milden Gaben ist's voll gefüllt;
schon harren die Armen am Bergesfuß
auf der Herrin sreundlichen Liebesgruß.
So geht sie ruhig; — doch Argwohn stahl
durch Verräters Mund sich zu dem Gemahl
und plötzlich tritt udwig ihr zürnend nah
und fragt die Erschrockene: „Was trägst du da?“
„„Herr, Blumen!““ bebt's von den Lippen ihr.
„Ich will sie sehen! Zeige sie mir!“
Wie des Grafen Hand das Körbchen enthüllt,
mit duftenden Rosen ist's erfüllt.
Da wird das zürnende Wort gelähmt,
vor der edlen Herrin steht er beschämt;
Vergebung flehet von ihr sein Blick,
Vergebung lächelt sie dann zurück.
Er geht und es fliegt ihres Auges Strahl
fromm dankend empor zu dem Himmelssaal.
Dann hat sie zum Tal sich hinabgewandt
und die Armen gespeist mit milder Hand.
L. Bechstein.
82. Die kleine Versetzerin.
(Wahre Begebenheit.)
Mütterchen weint, Kindlein lacht
und droben blinket der Stern der Nacht,
blinket so freundlich, als wollt' er sagen:
„Armer, hör auf zu weinen und klagen!
Auch die Nacht hat ja ihr Sternenlicht
und Gott verläßt die Seinen nicht.“
Mütterchen weint, Kindlein lacht,
dieweil es dem Püppchen ein Hütlein macht,
springt dann zum Mütterchen hin und spricht:
„Ach, schau und freu dich und weine nicht!
Ünd gib mir und meinem Annchen nun
die Jause,“) damit wir uns gütlich tun, —
ein Stückchen Brot nur.“ — Da weint noch mehr
das Mütterchen, denn der Kasten ist leer. —
æ) die Jause — Zwischenmahlzeit, Vesper.