Full text: [Teil 3 = Klasse 7, [Schülerband]] (Teil 3 = Klasse 7, [Schülerband])

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denn diese Wohnungen aus der weiten, umrollenden Wasserfülle nur 
noch als Strohdächer hervor, von denen man nicht glaubt, daß sie 
menschliche Wefen bergen, daß Greise, Männer, Frauen und Kinder 
unterdessen vielleicht ruhig um ihren Teetisch hersitzen und kaum einen 
flüchtigen Blick auf den umdrängenden Ozean werfen. Manch ein 
fremdes, aus seiner Bahn verschlagenes Schiff segelte schon in solchen 
Zeiten bei nächtlicher Weile über eine Hallig weg, und die erstaunten 
Seeleute glaubten sich von Zauberei umgeben, wenn sie auf einmal 
neben sich ein freundliches Kerzenlicht durch die hellen Fenster einer 
Stube schimmern sahen, die, halb von den Wellen bedeckt, keinen andern 
Grund als diese Wellen zu haben schien. Aber es bricht der Sturm 
zugleich mit der Flut auf das bange Eiland ein. Die Wasser steigen 
gegen zwanzig Fuß über ihren gewöhnlichen Stand hinauf. Die Wogen 
dehnen sich zu Berg und Tal, und das Meer sendet in immer neuen, 
langen Zügen seine volle, breite Gewalt gegen die einzelnen Werften, 
um sie aus seiner Bahn wegzuschieben. Der Erdhügel, der nur eine 
Zeitlang zitternd widerstand, gibt nach; bei den unausgesetzten Angriffen 
bricht ein Stück nach dem andern ab und schießt hinunter. Die Pfosten 
des Hauses, welche die Vorsicht ebenso tief in die Werfte hineinsenkte, 
als sie darüber hervorstehen, werden dadurch entblößt; das Meer faßt 
sie, rüttelt sie. Der erschreckte Bewohner des Hauses rettet erst seine 
besten Schafe hinauf auf den Boden, dann flieht er selbst nach; und 
hohe Zeit war es! Denn schon stürzen die Mauern, und nur noch 
einzelne Ständer halten den schwankenden Dachboden, die letzte Zuflucht. 
Mit furchtbarem Siegesübermut schalten nun die Wogen in dem unteren 
Teil des Hauses; sie werfen Schränke, Kisten, Betten, Wiegen mit 
wildem Spiel durcheinander, schlagen sich immer freieren Durchgang, um 
alles hinauszureißen auf den weitern Tummelplatz ihrer unbändigen 
Kraft, und der Stützpunkte des Daches werden immer weniger, des 
Daches, dessen Niedersturz rettungslos einer noch vor wenigen Stunden 
in häuslicher Geschäftigkeit miteinander wirkenden oder im sanften Arm 
des Schlummers nebeneinander ruhenden Familie ein schäumendes Grab 
bereitet. Angstlich lauscht das Ohr, ob nicht das Brausen des Sturmes 
abnehme; ängstlich pocht das Herz bei jeder Erschütterung; immer enger 
drängen die Unglücklichen sich zusammen. In der Finsternis sieht keiner 
das entsetzenbleiche Antlitz des andern; im Donnergeroll der tobenden 
Wogen verhallt das bange Gestöhn; aber jeder kann an seiner eignen 
Qual die marternde Angst seiner Lieben ermessen. Der Mann preßt 
das Weib, die Mutter ihre Kinder mit verzweiflungsvoller Todesgewißheit 
an sich; die Bretter unter ihren Füßen werden von der drängenden 
Flut gehoben, aus allen Fugen quellen die Wasser auf; das Dach wird 
durchloͤchert vom Wogensturz; ein irrer Mondstrahl dringt durch die zer— 
rissenen Wolken, fällt hinein auf die Jammerszene, die, von seinem
	        
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