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bekehrte sich später zu ihm (Platen: das Sonett an Goethe; vgl. Uhland: die Bekehrung zum
Sonett), und in neuerer Zeit haben Rückert, Platen, Geibel u. a. vieles Schöne in dieser Strophe
gedichtet. Form und Charalter des Sonetts beschreibt ebenso schön als geistreich A. W. Schlegel:
„Zwei Reime heiß' ich viermal kehren wieder
Und stelle sie getheilt in gleiche Reihen,
Daß hier und dort zwei eingefaßt von zweien
Im Doppelchore schweben auf und nieder. m
Daun schlingt des Gleichlauts Kette durch zwei Glieder
Sich freier wechselnd jegliches von dreien.
In solcher Ordnung, solcher Form gedeihen
Die zartesten und siolzesten der Lieder.
Den werd' ich nie mit meinen Zeilen kränzen,
Dem eitle Spielerei mein Wesen dünket,
Und Eigensinn die künstlichen Gesetze.
Doch wem in mir geheimer Zauber winket,
Dem leih' ich Hoheit, Füll in engen Grenzen
Und reines Ebenmaß der Gegensätze.“
Zwei Quartette bilden also die erste, größere Hälfte, zwei Terzette die zweite, kleinere. Jenes
Paar, wie dieses, bilden ein durch die ineinandergreifenden Reime gebundenes Ganze. Die Reime
waren ursprünglich sämmtlich weiblich, sind aber jetzt oft wechselnd; das Versmaß ist das fünf—
füßige jambische. Und die Reimstellung diese: abba, abba — cdoe, edoe (oder ede, ded, oder
ede, ede u. s. w.). Mit seinen voll ausklingenden, kunstvoll verschlungenen zahlreichen Reimen
eignet sich das Sonett hauptsächlich für weiche, melodische Empfindung, und zwar in der Gestalt
hin⸗ und herwogender Reflexion; denn zum Ausdruc der vollen Hingebung an die Empfindung
ist es eben zu kunstvoll. Aber auch zum Epos eignet sich dies „so sehr in sich verschränkte, gar
nicht über sich hinausweisende Metrum“ nicht. Entsprechend der Theilung der Strophen in zwei
Hälften wird der Gedankeninhalt sich in einen Gegensatz, eine Zweitheiligkeit auseinanderlegen,
wie Frage und Antwort, Gleichnis und Deutung, Rede und Gegenrede, Sache und Bild, Ent⸗
wicklung und Anwendung. Vgl. Bd. III, Nr. 196 u. 197. Beispiel (von Goethe):
„Natur und Kunst, sie scheinen sich zu fliehen,
Und haben sich, eh' man es denkt, gefunden;
Der Widerwille ist auch mir verschwunden.
Und beide scheinen gleich mich anzuziehen.
Es gilt wohl nur ein redliches Bemuhen!
Und wenn wir erst, in abgemess'nen Stunden,
Mit Geist und Fleiß uns an die Kunsi gebunden,
Mag frei Natur im Herzen wieder glühen.
So ist's mit aller Bilbdung auch beschaffen:
Vergebens werden ungebundne Geister
Nach der Vollendung reiner Höhe streben.
Wer Großes will, muß fich zusammenraffen:
In der Beschräntung zeigt sich ers der Meister,
Und das Gesetz nur kann uns Freiheit geben.“
14. GStanze. Die Stanze (Ottave, Oktave, Ottave-Rime) besteht aus acht Zeilen mit
fünffüßigem, jambischem Maß. Die Verbindung der Reime ist diese: ab ab ab eo. Ddie Reime
sind im freien Wechsel männliche und weibliche (im Italienischen nur weibliche), die letzten beiden
Reimzeilen stehen unmittelbar zusammen, um die Selbständigkeit der Strophe an der Grenze gegen
die solgende zu befestigen und abzuschließen. Dieses schöne, musikreiche, stolze, prächtige, kunstvolle
und doch leicht faßliche, sinnreiche und innige Metrum eignet sich für lyrische sowohl, als für
epische Dichtungen, doch ist sein Charalter vorwiegend ein weicher, weiblicher, milder, zum Aus—
druck einer sanften Bewegung des Gemüths.
In Qttaven ist geschrieben: Tassos „Befreites Jerusalem“, Ariosts „Rasender Roland“,
Camoens „Lusiaden“; von Goethe: die Zueignung, der Epilog zur Glocke (Bd. I
Vr. 12, die Zueignung zum Faust; bon Schiller. Sängers Abschied, Monolog der Jung
frau von Orleans Boal, N. 361); von Uhland; Gesang und Krieg; von Schulze; Be⸗
zauberte Rose; von Geibel der Rhein; von H. Lingg: Die Vbllerwanderung, u. a. Geisi—
voll charakterisiert Schiller das Metrum in folgendem Distichon.
„Stanze! dich schuf die Liebe, die artlich schmachtende: dreimal
Fliehest du schamhaft und kehrst dreimal verlangend zurüd.
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