Full text: Unterstufe: Zweiter Kursus (Theil 2, [Schülerband])

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griff der Kantor den Kirchenschlüssel und ging in Begleitung 
seines Sohnes mit dem Soldaten zur Kirche. Nach einigen vollen 
Akkorden begann die Melodie, und entblößten Hauptes, feuchten 
Auges und andächtigen Gemüths sang der Krieger, an einen 
Pfeiler gelehnt, mit kräftiger Stimme dazu. Als nun aber, er¬ 
griffen von der Innigkeit des Betenden, nicht nur die anderen 
mit einstimmten, sondern auch eine kleine Schar Dorfbewohner, 
welche durch die Erscheinung des Soldaten und durch die Töne 
der Orgel hergelockt waren, da blieb kein Auge thränenleer. 
Der Gesang endete, und langsam schloß der Kantor mit einigen 
sanften, wohlthuenden Akkorden. * 
„Habt Dank, herzlichen Dank!" flüsterte der tiefgerührte 
Kriegsmann hierauf dem Kantor zu, „und hier nehmt ein kleines 
Opfer für die Armen Eures Dorfes," fuhr er fort, indem er jenem 
heimlich ein Geldstück in die Hand drückte. — „Und dann noch 
eine Bitte! Seht, ich stehe ganz allein in der Welt, und wer 
weiß, wie bald mein Stündlein schlägt! Sollt’ es vielleicht noch 
heute sein, o, so versprecht mir, meine Gebeine in geweihter 
Erde zu begraben!" Das Versprechen ward gegeben, und leichten 
Herzens und hohen Muthes ritt der Krieger von dannen. 
Der Feind war geschlagen nach langem, heißem Kampfe; 
aber auch der Sieger hatte viele Todte und Verwundete zu be¬ 
trauern. — Siehe, beim blutigen Schimmer der Abendröthe 
suchen einige Landleute unter den Leichen der Erschlagenen. 
Bald entdecken sie ein wohlbekanntes Gesicht; mit zerschmettertem 
Arm und durchschossener Brust liegt jener wackere Krieger unter 
seinem Pferde. Noch einmal öffnet er das brechende Auge, er¬ 
kennt die Biedermänner, lächelt ihnen seinen Dank zu und be¬ 
fiehlt seinen Geist in Gottes Vaterhände. EiÄ schwarzes Kreuz 
bezeichnet dem Wanderer den Platz, wo seine Gebeine ruhen. 
Theodor Colshorn. 
87. Der Abend. 
1. Schön ist es, Wenn das AbendrotH 
Durch grüne Tannen lacht; 
Man dankt so froh dem lieben Gott, 
Der es so schön gemacht. 
2. Schön ist es, Wenn der Abendstern 
Am klaren Himmel glänzt; 
Man denkt so gern an Gott, den Herrn, 
Der ihn mit Strahlen kränzt.
	        
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