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Da wurden vom Rhein her dumpfe Töne wach. Lichter fackelten dort
draußen hin und her; einige Schüsse fielen. Was war das? — Der Wächter
auf dem Münsterturm gähnte, und der Torwart des Metzgertors wickelte
sich verächtlich wieder in feinen Mantel. „Pah, es sind französische Truppen.
Sie machen eine Nachtübung."
Aber da draußen wurde es immer lauter. Wirre Stimmen erschallten;
laufende Menschen kamen durch die Nacht; endlich tauchten im Mondschein
die ersten drei Flüchtlinge von Kehl her auf.
„Holla, Torwache! Aufgemacht! Straßburg alarmiert! Die Franzosen
haben die Nheinschanze überfallen und besetzt! Es wimmelt von französischen
Truppen! Der Anschlag gilt Straßburg!"
„Potz Wetter!" Der Torwächter stieß ins Horn; die Wache stürzte
zu ihren Waffen. Der nahe Nachtwächter nahm den Alarmruf auf; die
flüchtigen Soldaten von der Nheinschanze, verstärkt durch die Soldaten des
Tors, liefen teils ans Münster und schrien es dem Glöckner zu, teils
zum Stadtkommandanten von Jahneck: — und eine Viertelstunde später
gellte die „Mordglocke", die Sturmglocke, in kurzen,. wilden Tönen über
das ahnungslose Straßburg.
Jetzt wurde es laut in der nächtlichen Stadt. Fensterläden wurden
aufgeschlagen, Fenster wurden hell, fragende Gesichter streckten sich heraus;
von Haus zu Haus ging ein Rufen durch die Nacht: „He, Nachbar, was
gibt's? Wo brennt's? Warum läuten sie denn?" und: „Die Franzosen
sind da! Die Franzosen!"
Die Besatzung, die kaum noch aus 800 Mann bestand, eilte im Lauf¬
schritt auf ihre Bastionen. Die wehrfähige Bürgerschaft, etwa 3000 Mann,
bewaffnete sich und rannte von allen Seiten her mit Windlichtern unp
Fackeln nach ihren Lärmplätzen, jeder zu seiner Zunft und Abteilung. Der
tapfere Stadtkommandant ließ im Nu die Kanonen auf die Wälle fahren.
Und so war denn die friedliche Septembernacht von laufenden, rufenden
Bewaffneten, von hin- und hersprengenden berittenen Boten, von rasselnden
Kanonen in einem Augenblick unheimlich verwandelt. Ganz Straßburg war
lebendig.
Auch die Ratsherren eilten aus allen Richtungen, und nicht so behaglich
und würdevoll wie sonst, auf die Pfalz. Gleich darauf schollen Hufschläge
durch die Nacht. Es waren fünf Reiter, die das Hilfegesuch des Rates
über den Rhein bringen sollten. Da sie die Hauptstraßen besetzt wußten,
so bogen sie unmittelbar vor dem Metzgertor links auf einen Feldweg ad;
das gespannte Pistol in der Rechten, ging's bei hellem Mondlicht wie die
wilde Jagd übers Feld dem sumpfigen Rheinwald zu.
Herr Stadtsekretarius Güntzer aber ritt, von einem unablässig sein
Kalbfell bearbeitenden Trommler begleitet, vors Tor und wurde dort von
den französischen Vorposten angehalten und nach Jllkirch geführt, wo sich
General Montclar befand.