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einer Nebelnacht auf über 10 Zentner berechnet. Daß die dünnen Drähte
das tragen sollen, kann man nicht verlangen; sie werden deshalb regel—
mäßig vom Herbst bis zum Frühling abgenommen und der Telegraph
außer Betrieb gesetzt, so daß der Verkehr mit der Welt auf Briefe be—
schränkt ist, die auf Schneeschuhen nach Schierke gebracht werden — für
die Wetterberichte vom Brocken ein bedeutender Übelstand.
Wenn das am dürren Holze — das ist doch eine Stange —
geschieht, was soll am grünen werden? Und es wird auch etwas! Daß
der Rauhreif nicht nur Drähte zerreißen, sondern auch hohe Bäume
zerbrechen kann, sei nur nebenher erwähnt, denn das geschieht immerhin
seltener. Zumeist begnügt er sich, in souveräner Künstlerlaune den
Fichten eine Gestalt zu geben, wie sie toller und abenteuerlicher keine
Phantasie auszudenken vermag. — Zunächst überzieht sich jede einzelne
Nadel, jeder Zweig mit einem dichten Gespinst von allerzierlichster Arbeit
und doch von solchem Gewicht, daß die Zweige sich demütig immer
tiefer herabsenken. Ein Sonnenschein bricht durch und schmelzt im
Augenblick die zartesten Eisfasern, die am hangenden Zweige herabrinnen,
unten im Schatten schnell wieder gefrieren und sich durch neuen Zuschub
von oben zu immer längeren Eiszapfen auswachsen, die mit der Zeit
den Erdboden erreichen, aber nicht mehr als dünne Stäbe, wie sie an—
fingen, sondern, durch den Rauhreif selbst wieder in neue Arbeit ge⸗
nommen, zu handfesten Säulen gestaltet, die nun ihrerseits den Ästen als
gediegene und sehr wertvolle Stützen dienen.
Nun denke man sich einen solchen auf zahlreichen glitzernden Säulen
ruhenden Baum, dessen einzelne Aste und Zweige wiederum durch hundert
und aber hundert Säulchen gestützt und verbunden sind, und der ringsum
von einer wie Perlen und Diamanten schimmernden Eisfülle umgeben
ist — das ist ein Weihnachtsbaum, wie ihn kein menschliches Schmuck—
werk zustande bringt! Und nun einen solchen Wald, wo die Fichten
nicht regelmäßige Pyramiden sind, wie tiefer unten, sondern schon im
Sommer die allerbarocksten, verrenktesten Formen zeigen, da Baum für
Baum in so launenhaft phantastischem Aufputz: das kann ganz berückend
schön sein, wenn plötzlich die Sonne die schleichenden Dünste auflöst und
nun ein überschwengliches Funkeln und Leuchten aller Regenbogenfarben
in dem silbernen Zaubergewebe beginnt und zugleich ein leises Rieseln
und Raunen und Tupfen von Millionen abgleitender Tröpfchen; es kann
aber auch unheimlich bis zur Beängstigung sein, wenn schleichende Nebel
lautlos diese verhexte Wildnis durchwandern und die tollgewordenen
Baumgestalten noch ungeheuerlicher und spukhafter verzerren. Solcher
Anblick könnte allein schon das Entstehen der Hexensagen erklären, mit
denen die Volksphantasie diesen einsamen Gipfel umsponnen hat.
Und wieder verweilen wir wohl eine Nacht, begeistert durch solche
Entdeckungen: und am anderen Morgen finden wir eine tiefe, leuchtende