326 A. Erzählende Prosa. II. Geschichtliche Darstellungen.
kargen spät erworbenen Boden ein durch Arbeitskraft und Rührigkeit wie durch
seine Wasfenmacht gleich bedeutsamer Staat erwuchs, das war das weltgeschicht¬
liche Verdienst Friedrich Wilhelms, des großen Kurfürsten. Er kam gerade noch
zeitig genug zur Regierung, um die unglücklichsten Folgen der Politik des Vor¬
gängers abzuwenden, dem Kaiser wie den Schweden gegenüber eine selbständige
Haltung zu gewinnen und Hand anzulegen an die Umgestaltung des Landes, das
erst durch ihn zu einem geordneten Ganzen umgeschaffen ward. Mußte er sich
doch erst zum Herrn in seinem eigenen Erbe machen, die Bande der Abhängig¬
keit von der Habsburgischen Politik zerreißen, das Land von den äußern und
innern Drängern befreien und die Lehnsherrlichkeit Polens über Preußen ab¬
schütteln. Was bisher nur zerstreute Provinzen waren, ohne inneren und zum
Theil ohne äußeren Zusammenhang über den größten Theil des Deutschen Nor¬
dens vom Niemen bis zum Rhein ausgebreitet, nur zufällig dem Hause Hohen-
zollern gemeinsam Unterthan, als Kurlande, als fürstliche Erwerbung, als
Polnisches Lehen, das ward jetzt zu einem in sich verbundenen, von einem Mit¬
telpunkte aus geleiteten Staatswesen verschmolzen. Wie aber Brandenburg-
Preußen der einzige Staat war, der aus der Zerrüttung bald sich aufrichtete,
in dem die Wunden des Kriegs rasch vernarbten, so war auch sein neuer Regent
der einzige Fürst jener Zeit, der frei von den schlimmen Einflüssen fremder
Nachahmung, kerndeutsch und tüchtig, die wohlthätigen Wirkungen der fürstlichen
Macht in großen Ergebnissen veranschaulichte.
In einer Zeit, wo eine Menge fürstlicher Kräfte entweder in der Ver¬
wilderung eines furchtbaren Krieges untergingen oder der Französischen Nach¬
ahmerei verfielen, stellte der Brandenburgische Kurfürst fast einzig das Muster
eines Deutschen Fürsten auf, der die verderblichen Einflüsse der Zeit von sich
fern gehalten hat. Unter Sorgen und Mühen aufgewachsen, aber an Leib und
Seele gesund erhalten, hatte er früh gelernt sich selbst zu beherrschen, Vorsicht
und Entschlossenheit zu üben und der eigenen Leidenschaften Meister zu werden.
Weder Rom und Madrid noch Versailles hatten aus ihn eingewirkt; er verlebte
seine Jugend unter den Eindrücken Holländischer Freiheit und Macht, die da¬
mals auf dem Höhepunkt standen. Der Anblick eines rührigen, unermüdlichen
Volkes, dessen gesunde Schöpferkraft nicht' durch die Einflüsse des Adels und
der Priester verkümmert ward, der Eindruck eines Staates, der aus engem
Raume durch die Kraft der Arbeit und des Geistes zu Europäischer Bedeutung
herangewachsen war, das Vorbild eines Fürsten wie Friedrich Heinrich von
Oranien — das war die Schule gewesen, in welcher die gesunde Natur des
großen Brandenburgischen Fürsten sich zu seinem Negentenberufe gebildet hatte.
Indessen das Reich seinem völligen Verfalle entgegenging, gedieh in dem
jungen Staate Friedrich Wilhelms Alles, was von gesundem Deutschen Stoffe
vorhanden war, zur trefflichen Entfaltung. Hier ward das Heer gegründet, der
Staatshaushalt geordnet, der Anbau des Landes gehoben, Gewerbe und Handel
gefördert und der Deutschen Kultur ein weites, zum Theil noch unbebautes
Gebiet erobert; hier ferner dem bedrohten Protestantismus ein sicheres Asyl er¬
öffnet und Kunst und Wissenschaft in einer eigenthümlich Deutschen Richtung
gepflegt, während fast überall sonst das Volksthümliche vor dem Fremden weichen
mußte. In einem Augenblicke, wo Oesterreich und das Deutsche Reich dem
Uebergreifen des Französischen Einflusses ruhig zusahen, griff Friedrich Wilhelm
zu den Waffen, und so klein seine Macht noch war, Deutschland hatte doch
wieder einen Fürsten auszuweisen, der sich gegen die den Westfälischen Frieden
verbürgenden Mächte in Respect zu setzen verstand. In Zeiten, wo die alte