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5. Abends freilich treibt er die Schafe zu dem „Kaben“, der
mitten auf öder Heide steht und ein Gebäude ohne Fachwerk, also
ur ein schützendes, strohbedecktes Dach darstellt. Er selbst aber
kriecht in den Schäferkarren und ruht aus von den großen An—
strengungen des Tages. — Das ist ein Bild aus dem Alltagsleben der
„kleinen Leute auf der Heide“. Johannes Meyer.
281. Abseits.
L.Es ist so still; die Heide liegt
im warmen Mittagssonnenstrahle,
ein rosenroter Schimmer fliegt
um ihre alten Gräbermale;
die Kräuter blühn; der Heideduft
steigt in die blaue Sommerluft.
2. Caufkäfer hasten durch's Ge—
sträuch
in ihren goldnen Panzerröckchen,
die Bienen hängen Zweig um Zweig
sich an der Edelheide Glöckchen,
die Vögel schwirren aus dem Kraut —
die Cuft ist voller Lerchenlaut.
3. Ein halbverfallen niedrig Haus
steht einsam hier und sonnbeschienen.
Der Kätner lehnt zur Tür hinaus,
behaglich blinzelnd nach den Bienen;
sein Junge auf dem Stein davor
schnitzt Pfeifen sich aus Kälberrohr.
4. Kaum zittert durch die Mittags
ruh
ein Schlag der Dorfuhr, der ent—
fernten;
dem Alten fällt die Wimper zu,
er träumt von seinen Honigernten.
— Kein Klang der aufgeregten Zeit
drang noch in diese Einsamkeit.
Theodor Storm.
282. Wassersnot.
1Es ist kalt draußen, bitter kalt. Der scharfe, eisige Nordost
dringt in alle Winkel und durch die dicksten Winterüberzieher. Dazu
liegt Schnee, blendend weißer, fußhoher Schnee. Er klebt nicht, er
stäubt beinahe und knirscht und knattert und knittert unter jedem
Tritte.
2. Die Mutter ist in der Stube bei den Kindern. Sie hat das
vierte, den kleinen Jann, auf dem Arme und haucht und haucht an
die völlig zugefrorene Fensterscheibe, um ein kleines Guckloch zu
erhalten. Die drei ältesten Kinder stehen um den breiten Kachelofen
herum und sehen mit lüsternen Augen der Großmutter zu. Groß—
mutter, die alte, taube Frau, die so herzensgut ist, hat Rheumatismus
in den Beinen und Armen. Sie hat harte, gute Winteräpfel auf
die Ofenplatte gelegt; da werden sie heiß und platzen und brutzeln
und zischen und puffen und werden mit jedem Augenblick noch leckerer.
Endlich sind sie gar. Großmutter rakt sie unbeholfen mit der Feuer—
zange zu sich her und läßt sie in ihren Schoß kollern. Und die Kinder
nehmen ihre Taschentücher, um sie anfassen zu können, und warten
mundwässevig auf das Verteilen.
LCuben-Nacke, Lesebuch 11.
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