Full text: [Teil 6 = Obertertia - Untersekunda, [Schülerband]] (Teil 6 = Obertertia - Untersekunda, [Schülerband])

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I. Erzählungen, Beschreibungen u. s. w. 
Mittag gegessen und zwei bis drei Stunden zur vollkommen freien Ver¬ 
fügung, ehe der frische Schwager die frischen Gäule zur Weiterfahrt aus 
dem Stalle zog. In solchen Fällen widmet sich jeder, der nicht ein 
Geschäftsreisender ist, einer ganz behaglichen innerlichen Beschaulichkeit, 
die jedoch bald in eine sonderbare Ruhelosigkeit überzugehen pflegt. Man 
dehnt sich, man gähnt eine Weile auf der Bank unter der Laube vor dem 
Gasthofe; man erhebt sich, schlendert die nächste Gasse bis zur nächsten 
Ecke hinauf, guckt träumerisch auf die verstaubten toten Fliegen hinter 
dem Ladenfenster eines Krämers und kehrt zurück zu seinem Tische und 
seiner Bank vor der Tür, um von neuem einen muntern Kampf mit den 
lebendigen Fliegen des Ortes aufzunehmen. Die meisten Reisenden ver¬ 
fallen nunmehr in ein etwas stupides Hindämmern und ermuntern sich erst 
wieder, wenn die Pferde angeschirrt werden; ich dagegen, der von vielem 
Gebrauch macht, was andere Leute verachten, ich erkundige mich nach 
den nächstgelegenen Merkwürdigkeiten des Munizipiums, natürlich reser¬ 
vatis reservandis, d. h. unter Vorbehalt alles dessen, was der ver¬ 
ständige Mann sich eben vorbehält, nämlich ob er die Kuriositäten be¬ 
sichtigen will oder nicht. Ich stellte eine ähnliche Erkundigung also 
auch diesmal an und kann gerade nicht sagen, daß es mich tief be¬ 
kümmerte, als der Wirt, ein behaglicher Mann, sich hinter den Ohren 
kratzte und Merkwürdigkeiten, sei es der Natur oder der Kunst, in seiner 
Umgebung nicht vorzuführen wußte. 
Schon lehnte ich mich mit einem unwillkürlichen Seufzer der Be¬ 
friedigung zurück in den Lindenschatten, als ein kleines schwarzes Männlein, 
das auf der Bank an der andern Seite der Tür saß, eine kleine, 
kurze, schwarze Pfeife rauchte und deshalb von den Fliegen mit hohem 
Widerwillen vermieden wurde, mich melancholisch ansah und leise und 
scheu sagte: „Wir haben noch einen Schüdderump. Wenn der Herr den 
sehen will, so ist er willkommen dazu; und die Zeit langt auch, und ich 
will, mit Respekt zu sagen, den Herrn hinführen." 
„Ein Schüdderump? Was ist ein Schüdderump?" fragte ich, von 
dem Wort ungemein angezogen. 
„Gehe der Herr nur mit mir," sprach der Melancholische noch 
schwermütiger als zuvor. „Es kostet nichts, als was dem Herrn zu 
geben beliebt. Ich bin der Totengräber der Stadt, und da des Herrn 
Forstschreibers Grab fertig und parat steht und der Herr Forstschreiber 
erst um vier Uhr bei mir arrivieren wird, so langt, wie gesagt, die Zeit 
für den Postwagen und item für des Herrn Forstschreibers Leichenkondukt." 
Ich rückte auf der Bank. Dieser kleine Schwarze, der diese beiden 
Fahr- und Reisegelegenheiten so gleichgültig und mit so trübsinniger 
Verständigkeit zusammenbrachte, wurde mir ganz unbehaglich; allein der 
Grundstoff unseres Gespräches gewann dadurch an Interesse. In welcher
	        
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