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Weitab von den Lebensidealen der Eltern hatte seine jugendliche Entwickelung ihren
Gang genommen. Weder das pompöse Dekorationswesen, worin sich Friedrich J. gefiel,
noch das Parfum geistiger Vornehmheit, das die Atmosphäre seiner Mutter, der „philo—
sophischen Königin“, erfüllte, hatte jemals Eindruck auf ihn gemacht. Ein derb gearteter
junger Mann von strammer, untersetzter Gestalt, festem Tritt, scharf um sich blickendem
Auge, kurzem, treffendem Wort, das auch grobe Barschheit nicht scheute, nahm er von
früh an eine Stellung beiseite an dem elterlichen Hofe ein. Er war einer von den Menschen,
die sich selbst erziehen und rasch damit fertig sind. Von den üblichen Gegenständen des
Schulunterrichtes eignete er sich jedenfalls nicht mehr als das Notdürftigste an; nur die
religiöse Unterweisung nahm er ernst und mit festgläubigem Herzen in sich auf, ohne
Schwanken und ohne Grübeln. Wir wissen nichts von irgend einem maßgebenden per—
sönlichen Lehreinfluß, durch den seine Lebensrichtung bestimmt wurde; auch Leopold
von Dessau war ihm nicht sowohl Lehrmeister, als gleichgearteter, älterer Freund; seine
Verheiratung mit Sophie Dorothea von Hannover, die ihm an allgemeiner Geistes—
und Weltbildung weit überlegen, und der er mit unwandelbarer Treue zugetan war und
blieb, hat auf die Richtung seines Denkens und Empfindens nie die geringste Wirkung
geübt. Mit zwanzig Jahren schon war er eine fertige, geschlossene Persönlichkeit.
Feste, klar erkannte praktische Ziele, nüchtern ernstem Sinne faßbar und genehm,
traten ihm von den ersten Jugendjahren an vor die Seele; sie zu erreichen wird das
unverbrüchliche, oberste Gesetz des Lebens, darüber hinaus blickt er weder vorwärts,
noch rechts oder links. Inmitten des ihn umgebenden, verschwenderischen Gepränges
eines jungen Königtums wuchs er einfach, sparsam, haushälterisch heran, mit einem
gewissen Trotz der Bedürfnislosigkeit und mit feindseliger Verachtung gegen die ganze
Welt des Scheines, von der er Vater und Mutter umgeben sieht, und in der so viel preußi⸗
sches Geld für Nichtigkeiten vergeudet wird. Die reale Welt, in der, und für die er lebt,
ist straffes Soldatentum und haushälterische Wohlordnung im eigenen Haus und im
Staat; scharfe Disziplin, möglichst persönlich ausgeübt gegen sich selbst, wie gegen alle
anderen, erscheint ihm als die einzige, gesunde Lebensluft für den verpflichteten und
verantwortlichen Fürsten. Dieser Geist der Disziplin hielt ihn aber auch davon zurück,
sich in ein grundsätzliches, grollendes Oppositionsverhältnis gegen den Vater und seine
Regierungsweise zu setzen. Er ging der Berührung mit den offiziellen Kreisen des Hofes
und der Regierung nach Möglichkeit aus dem Wege, beobachtend, lernend, arbeitend
in der ihm zugewiesenen Sphäre.
Welche Fülle von schöpferischer Tatkraft aber dieses rauhe, unbändige Wesen in
sich schloß, das trat zu Tage, als Friedrich Wilhelm im Februar 1713 den preußischen
Thron bestieg.
Die ungewöhnlich stattliche Leichenparade, womit die Beisetzung des verstorbenen
Königs begangen wurde — 12. 000 Mann waren dazu aufgeboten — war gleichsam auch
das Leichenbegängnis des bisherigen Regierungssystems. Der Pietät gegen den Vater
wurde Genüge getan, die Mutter war schon seit Jahren gestorben; ohne jede einschränkende,
persönliche Rücksichtnahme sah der vierundzwanzigjährige Herrscher sich in der Lage, die
Gebote seiner Überzeugung und seiner Instinkte zum neuen Lebensgesetz des Staates
erheben zu können. Und keinen Augenblick zweifelte er, daß dies sein Recht und seine
Pflicht sei.
Es ist oft erzählt worden, wie die Windsbraut seiner Entrüstung und Verachtung
schon in den ersten Tagen über Hofstaat und Beamtentum dahinfuhr, wie alles unnütz
scheinende Personal — und die Mehrzahl des bisherigen, unmäßig angeschwollenen
Hofstaats erschien dem neuen König unnütz — radikal hinweggefegt, die Gehälter und
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