Full text: Deutscher Jugendfreund

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VI. Geistliches und 
Er denn aber von dem allen?“ antwortete: „Ew. Majestät, wie ich geh' und 
stehe!“ — worauf denn der König Francken auf die Schulter klopfend 
ausrief: „Nun begreife ich es wohl, wie Er so etwas zu stande bringt; ich 
habe solche Leute nicht.“ 
Die zweite ergiebige Quelle floß dem Waisenhause aus den Arzeneien 
der Apotheke zu. Mit diesen hatte es eine seltsame Bewandtnis. Im Jahre 
1700 gab nämlich ein gewisser Burgstaller auf seinem Sterbebette an Francke 
eine Anweisung „zu einer aus dem Golde zu bereitenden sehr herrlichen 
Arzenei.“ Francke übertrug dem Arzte des Waisenhauses, dem durch seine 
tiefsinnig frommen Lieder bekannten Christian Friedrich Richter, die Bereitung 
jener Arzenei. Nachdem dieser große Summen vergeblich hierauf verwandt 
hatte, gelang ihm endlich im Januar 1701 die Arbeit. Bald wurden diese 
Waisenhausarzeneien aller Orten gesucht; wunderbare Wirkung erzählte man, 
und große Summen flossen durch den Verkauf dem Waisenhause zu. 
Von Jahr zu Jahr wuchsen die Anstalten unter Franckes gesegneter 
Leitung, dem ein Quentlein lebendigen Glaubens mehr galt als ein Centner 
bloßen Wissens und ein Tröpflein wahrer Liebe mehr als ein Meer der Er— 
kenntnis aller Geheimnisse. In seinem Todesjahre 1727 zählten das Päda— 
gogium 82 Zöglinge, die lateinische Schule 400 Schüler, die deutschen 
Bürgerschulen 1725 Kinder unter 4 Inspektoren, 98 Lehrern und 8 Lehre— 
rinnen, das Waisenhaus 134 Kinder unter 10 Aufsehern und Aufseherinnen. 
Außerdem stellten sich noch 255 Studenten und 360 arme Schüler täglich 
als Tischgenossen ein, und in Haushaltung, Apotheke und Buchladen fanden 
53 Personen ihre Beschäftigung. Karl von Raumer. 
230. (VI. 15.) Von der Freundschaft. 
Von der Freundschaft spricht einer: sie sei überall, der andere: sie sei 
nirgends; und es steht dahin, wer von beiden am ärgsten gelogen hat. 
Wenn du Paul den Peter rühmen hörst, so wirst du finden, rühmt 
Peter den Paul wieder; und das heißen sie denn Freunde. Und ist oft 
zwischen ihnen weiter nichts, als daß einer den andern kratzt, damit er ihn 
wieder kratze, und sie sich so einander wechselweise zu Narren haben; denn 
wie du siehst, ist hier wie in vielen anderen Fällen ein jeder von ihnen nur 
sein eigener Freund und nicht des andern. Ich pflege solch Ding Holunder— 
freundschaften zu nennen. Wenn du einen jungen Holunderzweig ansiehst, 
so sieht er fein stämmig und wohlgegründet aus; schneidest du ihn aber 
ab, so ist er inwendig hohl, und ist so ein trocken, schwammig Wesen darin. 
So ganz rein geht's hier freilich selten ab, und etwas Menschliches 
pflegt sich wohl mit einzumischen; aber das erste Gesetz der Freundschaft soll 
doch sein, daß einer des andern Freund sei. 
Und das zweite ist, daß du's von Herzen seist und Gutes und Böses
	        
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