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schwur und Glückwunsch an. Wie er bei seiner Königskrönung in Königs¬
berg von den Fahnen und Standarten der Armee hatte umgeben sein
wollen, so wollte er auch hier auf diese Symbole hingebender Treue,
unantastbarer Standhaftigkeit und Ehre blicken, die eben noch aus
blutigen Schlachtfeldern die Heere zu Sturm und Sieg geführt hatten.
Vor neue Aufgaben, wieder vor eine „Wendung durch Gottes Führung"
gestellt, auf eine Zukunft gerichtet, die, wie der hohe Herr es fühlte,
ihm nicht lange mehr zugehören konnte, verlangte ihn, der Einheit seines
Lebensverlauss an diesen Siegeszeichen sich bewußt zu werden; er befahl,
diejenigen Fahnen, die ihn an seine eigenen Lebensereignisse erinnerten,
denen er Treue gehalten hatte, wie zur Bekräftigung seiner Gesinnung
und seines Vorhabens ihm zunächst zu stellen. Wer war ihm gleich an
Erinnerungen, an Schickungen? Noch ein Jüngling, hatte er hier auf
feindlichem Boden gestanden und damals schon das Eiserne Kreuz sich
vor dem Feinde erworben. Ein halbes Jahrhundert später, als König,
hatte er zum zweiten Male den Krieg in dasselbe feindliche Land tragen
müssen, und als Kaiser kehrte er heim.
So feierlich, so ernstbewegt beging König Wilhelm diese Stunde;
daß er aber mit seinem Entschlüsse die Wünsche des Volkes erfüllte und
die deutschen Siege aufs höchste verherrlichte — das sagte ihm das
tausendstimmige Hurra seines Heeres. Wie ein von seinen Heermannen
aus den Schild gehobener Germanenkönig, so durste König Wilhelm,
getragen von Dank, von Liebe und Treue des wehrhaften deutschen
Volkes, die der Kaisergruß ihm hier darbrachte, sich aus der Höhe seines
vielbewegten, an Siegen reichen Lebens fühlen.
Mit eben dieser Stunde begann die ersehnte neue Zeit für das
deutsche Volk. In dem Jubelgruß an den geliebten Herrn, der diese
Prunksäle durchbrauste, entkräftete es die hochmütigen Ansprüche und
Gewalten, deren Verherrlichung sie einst gewidmet waren, und feierte
den Sieg der edleren Macht, die sittliche Kraft und Begeisterung einem
Volke verleihen. Möge es dieser stärksten Macht sich ebenda für immer
geweiht haben! Diejenigen, die Leib und Leben für das Vaterland ein¬
gesetzt hatten, haben in Versailles das neue Deutsche Reich begrüßt: die
jetzt sich des erkämpften Segens erfreuen, sind wahrlich berufen, in gleich .
aufopfernder Gesinnung ihnen nachzueifern.
7. Oie Heimfahrt im Kaiserzuge, von Gustav freytag.
Ein Brief.
Gesammelte Werke. 15. Band. Leipzig. 8. 500.
3ch bin in der Heimat bei Weib und Kind, ein glücklicher Mann.
Wir haben im Eisenbahnwagen einen Triumphzug durch Deutschland
gemacht, dessen eigentümliche begeisternde Wirkung sich mit andern Emp¬
findungen, die das Leben gibt, gar nicht vergleichen läßt. Zwar die