Full text: Ein Lesebuch für die 4. und 3. Klasse höherer Mädchenschulen (Teil 3, [Schülerband])

36 [III] 
Bechstein. 
Haare kämmen und schöne Zöpfe flechten, und daß sie auch gern 
zum Tanz mitgehen mochte, das fiel gar niemand ein. Als sie 
es endlich wagte, um Erlaubnis zu bitten, ward sie schrecklich 
ausgelacht, daß sie sich einfallen ließe, zum Tanze gehen zu wollen, 
da sie doch keine schönen Kleider habe und nicht einmal Schuhe. 
Die böse Stiefmutter nahm geschwind eine Schüssel voll Linsen, 
warf diese in die Asche und sagte: „So, so, Aschenbrödel, mache 
dir etwas zu thun, lies erst die Linsen! dann sollst du mitgehen, 
mußt aber in zwei Stunden fertig sein." ^ 
Das arme Kind ging in den Garten und rief dem Vöglein 
auf ihrem Haselnußbaum und auch den Täubchen, daß sie alle 
lesen sollten, die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen, 
und bald wimmelte es von Tauben und andern Vögeln; da 
währte es gar nicht lange, so war die Schüssel voll Linsen ganz 
rein gelesen. Aber wie das gute Mädchen voller Freude die 
Linsen brachte, ärgerte sich die Stiefmutter und schüttete jetzt 
zwei Schüsseln voll Linsen in die Asche, und die sollte es nun 
auch noch in zwei Stunden lesen. Aschenbrödel weinte, rief aber 
die Vöglein wieder, und bald war auch diese Arbeit gethan. Es 
wurde ihr aber dennoch nicht Wort gehalten, sondern sie wurde 
ausgelacht, denn sie habe ja keine Kleider und Schuhe, und wie 
sie sei, könnte sie sich nimmer sehen lassen, auch müsse der Königs¬ 
sohn und jeder andere einen schlechten Geschmack haben, der mit 
ihr tanze, und da gingen jene Stolzen fort und ließen Aschen¬ 
brödel tiefbetrübt zurück. Die ging zu ihrem Bäumchen und 
weinte bitterlich; da kam das Vöglein geflogen und rief: 
„Mein liebes Kind, o, sage mir! 
Was du wünschest, schenk ich dir!" 
Da rief Aschenbrödel, indem sie das Bäumchen anfaßte: 
„O, liebes Bäumchen, rüttle dich! 
O, liebes Bäumchen, schüttle dich! 
Wirf schöne Kleider über mich!" 
Da flog ein schönes Kleid herunter und kostbare Strümpfe und 
Schuhe, das zog Aschenbrödel geschwind an und ging auf den 
Ball, und das Mädchen war fo schön, ach, so schön, daß 'es gar 
niemand kannte, auch nicht einmal seine Schwestern, und der 
Königssohn tanzte nur mit ihm und mit keiner andern Jungfrau,
	        
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