Glaubrecht. Grimm.
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seiner Pfeife, sein Auge verfolgt wie das Falkenauge das Thun
und Treiben der ihm vertrauten Herde. Manchmal verläßt er
plötzlich seinen Sitz und schreitet bedächtig auf einen Stock zu,
der anfängt, unruhig zu werden. Er will sehen, was das kleine
Volk bewegt: ob ihm die Königin gestorben, ob ein Küfer sich
hinein verirrt, ob eine Heidemaus Miene macht, durch die Hinter¬
seite des Stockes sich einzubohren und nach dem Honig zu streben,
ob ein Vogel auf dem benachbarten Strauche sitze und nach den
müden, heimkehrenden Bienen schnappe, oder ob das Völklein sich
teile und dem jungen Weisel sich anschließe zur Gründung einer
neuen Kolonie. In allen ihren Nöten ist der Jmmeker der Bie¬
nen Vertrauter und Ratgeber,- sie fliegen ihm entgegen, sie ge¬
leiten ihn an die streitige Stelle, sie dulden es, daß er den Stock
öffnet und hineinschaut in ihr verborgenes Reich, ja, sie lassen
sichs gefallen, daß er unter sie greift und sie händeweis versetzt,
wohin er will/ kein Stachel trifft ihn. Der Jmmeker und sein
Völkchen kennen sich und gehören zusammen.
Brüder Jakob und Wilhelm Grimm
(1785—1863 und 1786—1859).
*34. Tie kluge Else.
Es war ein Mann, der hatte eine Tochter, die hieß die
kluge Else. Als sie nun erwachsen war, sprach der Vater:
„Wir wollen sie heiraten lassen!"— „Ja," sagte die Mutter,
„wenn .nur einer käme, der sie haben wollte!" Endlich kam
von weither einer, der hieß Hans und hielt um sie an, er machte
aber die Bedingung, daß die kluge Else auch recht gescheit wäre.
„O," sprach der Vater, „die hat Zwirn im Kopf," und die
Mutter sagte: //Ach, die sieht den Wiitd auf der Gasse laufen
und hört die Fliegen husten." — „Ja," sprach der Hans, „wenn
sie nicht recht gescheit ist, so nehm ich sie nicht." Als sie nun
zu Tisch saßen und gegessen hatten, sprach die Mutter: „Else,
geh in den Keller, und hol Bier!" Da nahm die kluge Else
Hessel, Musterprosa III. - 7