Full text: Klasse 4 (siebentes Schuljahr) (Teil 6: Klasse 4, [Schülerband])

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stäubet einen jeglichen, den er zum Sohne annimmt,“ war in großen 
Buchstaben darunter geschrieben. 
Frau Hadwig warf dem Abt einen fragenden Blick zu. 
„Die Geißelkammer!“ sprach er. 
Der Abt drängte, daß sie vorüber kamen. Seine Prunkgemächer 
waren mit Blumen geschmückt. Frau Hadwig warf sich in den ein— 
fachen Lehnstuhl, auszuruhen vom Wechsel des Erschauten. Sie hatte 
in wenig Stunden viel erlebt. Es war noch eine halbe Stunde zum 
Abendimbiß. 
In der Küche ward unter Gerolos, des Schaffners, Leitung 
eine Tätigkeit entwickelt, die nichts zu wünschen übrig ließ. 
Jetzo läutete das Glöcklein, dessen Ton auch von den frömmsten 
Brüdern noch keiner unwillig gehört, den Ruf zur Abendmahlzeit. 
Abt Cralo geleitete die Herzogin ins Refektorium. Sieben Säulen 
teilten den luftigen Saal hälftig ab, an vierzehn Tischen standen, 
wie Heerscharen der streitenden Kirche, des Klosters Mitglieder, 
Priester und Diakonen; sie erwiesen dem hohen Gast keine besondere 
Aufmerksamkeit. 
Das Amt des Vorlesers vor dem Imbiß stund in dieser Woche 
bei Ekkehard, dem Pförtner. Der Herzogin zu Ehren hatte er den 
vierundzwanzigsten Psalm erkoren, er trat auf und sprach einleitend: 
„Herr, öffne meine Lippen, auf daß mein Mund dein Lob verkünde,“ 
und alle sprachen's ihm murmelnd nach, als Segen zu seiner Lesung. 
Nun erhub er seine Stimme und begann den Psalm, den die 
Schrift selber einen lieblichen Gesang nennt. 
Die Mahlzeit begann. Der Küchenmeister, wohl wissend, wie bei 
Ankunft fremder Gäste Erweiterung der schmalen Klosterkost gestattet 
sei, hatte es nicht beim üblichen Mus mit Hülsenfrüchten bewenden 
lassen. Auch der strenge Küchenzettel des seligen Abts Hartmuth ward 
nicht eingehalten. 
Wohl erschien zuerst ein dampfender Hirsebrei, auf daß, wer ge— 
wissenhaft bei der Regel bleiben wollte, sich daran ersättigte; aber 
Schüssel auf Schüssel folgte, bei mächtigem Hirschziemer fehlte der 
Bärenschinken nicht, sogar der Biber vom obern Fischteich hatte sein 
Leben lassen müssen; Fasanen, Rebhühner, Turteltauben und des Vogel— 
herds kleinere Ausbeute folgten, der Fische aber eine unendliche Aus— 
wahl, so daß schließlich ein jeglich Getier, watendes, fliegendes, 
schwimmendes und kriechendes, auf der Klostertafel seine Vertretung fand.
	        
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