Full text: Für Klasse 2 (neuntes Schuljahr) und die Obertertia der Studienanstalten (Teil 8, [Schülerband])

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merkt man ihr die Abstammung aus der Kanzlei an, wenn sie sich 
mit dem Fürwort „derselbe“ (S er) verbindet, wie in Artikel 8 der 
Reichsverfassung: „In jedem dieser Ausschüsse werden außer dem Prä— 
sidium mindestens vier Bundesstaaten vertreten sein, und führt inner— 
halb derselben jeder Staat nur seine Stimme“, oder in einer Bekannt⸗ 
machung der jüngsten Zeit über die dreiprozentige preußische Anleihe: 
„Die Bescheinigung über die erfolgte Zeichnung mit der Quittung über 
die Sicherstellung wird dem Zeichner zurückgegeben, und ist dieselbe 
bei der ersten Zahlung der Zeichnungsstelle wieder einzuliefern, wo 
das Wort „dieselbe“ unbeschadet des Sinns ganz fortbleiben kann. 
Eine weitere Eigentümlichkeit der Kanzleisprache ist die Neigung, Eigen— 
schaftswörter zu bilden von Wörtern, wie allenfalls: allenfallsig; dem— 
nächst: demnächstig; Oberbehörde: oberbehördliche Entscheidungen; 
Regierung; regierungsseitige Äußerungen (vgl. dortige Bedenken); der— 
malen: dermalige Bestimmung; Hälfte: hälftige Befreiung vom Schul— 
geld; Kläger, Beklagter: klägerische, beklagtische Rechnung; leihweis: 
leihweise Überlassung; etwa: eine etwaige Verminderung; ungefähr: 
mit ungefährem Augenmaße u. a. Hierher gehören auch Fügungen, 
wie ein geschätzt sein wollender Mann oder das vorhanden sein sollende 
Geld, und Wortbildungen, wie pflichtschuldig, Machtvollkommenheit, un— 
erfindlich, von denen ausdrücklich bezeügt ist, daß sie aus der Schreib— 
stube stammen, oder beherzigen, behändigen, ersprießlich, erschließlich, 
von denen Luther in seinem Begleitwort zur Übersetzung der fünf 
Bücher Mosis 1525 sagt: „Es achtet auch niemand recht deutsch zu 
reden, sonderlich der Herren Kanzleien und die Lumpenprediger und 
Puppenschreiber, die sich lassen dunken, sie haben Macht, deutsche Sprache 
zu ändern, und dichten uns täglich neue Wörter (es folgen die genannten). 
Ja, lieber Mann, es ist wohl betöret und ernarret dazu.“ 
Aber nicht bloß neue Wörter schafft die Kanzleisprache, sondern 
auch alte Ausdrücke und Formen sucht sie jahrhundertelang festzu— 
halten; ich erinnere an sintemal (S sint dem Male, seit dem Male) und 
dieweil (S die Weile), maßen und inmaßen (S in Anbetracht, daß), 
dero und ihro, jetzo, jeßund und jetzunder, hinfüro und nunmehro, allhier. 
anhier, annoch, ansonst, anitzt u. a. 
So kann es uns nicht wundern, daß das Volk die Juristen mit ihrer 
ihm völlig unverständlichen Sprache gern verspottet und Wendungen 
wie „gelehrt, verkehrt“ namentlich auf sie gemünzt hat. 
Neuland. VIII. 3. Aufl.* 
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