Erster Abschnitt.
Musterbeispiele deufscer Prosa,
von 1500 bis zur Gegenwart.
1. Zohannes MVauli. 1455() - 1530.
1. Probe der Gelehrsamkeit.
Schimpf und Ernst 1519. Erneut von K. Simrock, Heilbronn 1876, S. 97.
Es kam einmal ein Hase zu seinem König, dem Löwen, und
sprach: „Herr, ich bin zu Paris auf der hohen Schule gewesen und
habe verstudiert, was ich daheim besaß. Ich bin ein gelehrter Geselle,
und begehre, ihr wollt mir ein Wartegeld geben, davon ich leben
möge, denn ein König bedarf gelehrter Leute und besonders Juristen
und Redner.“ Der Leu sprach: „Du hast recht; ich will dich aber
vorher prüfen, ob du gelehrt bist und was du studiert hast. Darum
komm mit mir in die Wälder.“ Da sie nun durch den Wald gingen,
sahen sie einen Jäger, der hatte die Armbrust gespannt und wollte
einen Fuchs oder einen Bären schießen, die er bei einander sah. Der
Fuchs lief und sprang hin und her und blieb nicht an einem Orte
stehen; der Bär aber gedachte an seine Stärke und meinte, er könnte
den Jäger zerreißen, uͤnd sprang auf ihn los. Der Jäger drückte
die Armbrust ab und traf den fären ins Herz, der gleich tot war.
Da sprach der Lowe zu dem Hasen: „Nuͤn mach mir ein hübsch
lateinisch Verslein darauf und übersetz es mir ins Deutsche.“ Der
Hase war behende und schrieb in sein Buch:
„Valet plus ad ietum mortis
PEsse sapiens quam fortis.
Weisheit mehr als Stärke frommt,
Wenn uns der Tod zu bänd'gen kommt.“
Der Leu lobte die Verslein. Darauf kamen sie an eine Stadt,
wo sie einen Herrn fanden, der zwei Knechte hatie. Und was der
Herr den einen Knecht hieß, das that er alles; und was er den
andern hieß, das wollt' er nicht thun und gab dem Herrn freche
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