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wie traurig blickt die Sonne aus den trüben Wolken über die Gärten hin,
wo keine Blume mehr blüht, über die Felder, wo keine Spur der Ernte
mehr ist, über die Wiesen und Hügel, wo der dürre Rest des Grases ver—
blichen ist. In der Luft ist das Konzert der Vögel verstummt, und ihre
Stille wird etwa nur von dem Gekrächze der Krähen oder von dem Geschreie
der Zugvögel unterbrochen, die wärmeren Gegenden zufliegen. Die Wälder
erheben überall ihre falben Häupter, und stürmische Nordwinde treiben die
abgerissenen Blätter weit von den AÄsten weg, deren Schmuck sie waren.
Die Berge umher stehen öde, sie werden von keinen Herden mehr besucht
und von keinem Geblöke mehr belebt; auf ihren dunkeln Abhängen trauert
der beraubte Weinstock, auch kein Jauchzen der Winzer läßt sich mehr hören.
Die Blumenplätze der Gärten liegen zerstört; die Bäume haben ihre Frucht
abgeliefert, und die Weichlinge von Blumen verschließen sich wieder in ge—
wärmte Gewächshäuser. Wie traurig liegt die weite Landschaft vor mir,
worin jede helle Farbe verblichen, und der Hauptschmuck des Feldes, das
Grün, in ein mattes Gelb übergegangen ist, und überall die Spuren der
Vergänglichkeit erscheinen! Ein dicker Nebel ist der Gefährte des Morgens,
und langsam steigt der Tag durch die Frühstunden wie auf Stufen zur
Heiterkeit empor, wenn ihm noch eine Heiterkeit vergönnt ist. —
Allmählich beeisen sich die Ufer; jede Nacht erweitert das Gebiet des
Frostes; der Strom wird langsamer, und das Rauschen dumpfer; wie mit
einem krystallenen Pflaster, unter welchem der Fluß unbemerkt dahin schleicht
oder unwillig in leisen Klagen murmelt, überdecken die schwimmenden Eis—
klumpen das Wasser. Und was für Schauspiele giebt der Frost dem Auge!
Der See gleicht einem glatten Spiegel, auf welchem das Morgenlicht blitzt,
ohne ihn zu durchwärmen. Eine sanfte Brechung der Strahlen und ein
ergötzendes Spiel der Farben erscheint auf der hellen Fläche. Bald malt
die Sonne ihr Bild auf dem Eise als eine glänzende Scheibe, bald läßt
sie den ganzen krystallenen See in einem roten Feuer brennen. An jener
Seite schwärmt die Jugend des Dorfes auf dem Eise umher; ein Haufe
schwebt auf tönenden Schlittschuhen im geschickten Gleichgewichte so schnell
wie der Flug eines Pfeiles dahin, so schnell, daß die Blicke ihm kaum
mehr in die Ferne folgen können; — ein anderer jagt im rauschenden
Schlitten herum, und Fröhlichkeit und Scherz herrschen unter den kleinen
zerstreuten Scharen.
Fast jeder Morgen zeigt uns neue Werke des Frostes von mannig—
faltigen Gestalten und Farben, die er in der stillen Nacht verfertigte. Das
Dach ist mit silbernen Eiszapfen umhangen. Die von den Felsen herab—
fließenden Regenströme haben ihren Lauf vergessen und bilden an den
Wänden, an welchen sie sich ergossen, lange weiße Säulen, die dem Auge
entgegenschimmern. Dann tönt die Erde unter dem Schritte der Reisenden,
und jeder Schall bricht heller durch die kalte Luft. Vergebens senken sich
die Strahlen des Miltags auf die versteinerte Erde herab; kaum fühlt sie
die schwache Berührung des erwärmenden Lichtes, und wenn auch das Thal
auf einige Stunden seine Härte erweichen zu lassen scheint, so wiederholt
doch bald der Frost sein kaltes Blasen und zwingt das, was die milde
Sonne aufgelöst hatte, wieder unter seine rauhe Herrschaft.