Full text: Gedichtsammlung für höhere Mädchenschulen (1, [Schülerband])

ITT 
31. Die alte Waschfrau. 
Du siehst geschäftig bei dem Linnen 
Die Alte dort in weißem Haar, 
Die rüstigste der Wäscherinnen 
Im sechsundsiebenzigsten Jahr. 
So hat sie stets mit sauerm Schweiß 
Ihr Brot in Ehr und Zucht gegessen 
Und ausgefüllt mit treuem Fleiß - 
Den Kreis, den Gott ihr zugemessen. 
Sie hat in ihren jungen Tagen 
'Geliebt, gehofft und sich vermählt; 
Sie hat des Weibes Los getragen, . 
Die Sorgen haben nicht gefehlt; 
Sie hat den kranken Mann gepflegt; 
Sie hat drei Kinder ihm geboren; 
Sie hat ihn in das Grab gelegt 
Und Glaub und Hoffnung nicht verloren. 
Ta galts, die Kinder zu ernähren; 
Sie griff es an mit heiterm Mut, 
Sie zog sie auf in Zucht und Ehren, 
Der Fleiß, die Ordnung sind ihr Gilt. 
Zu suchen ihren Unterhalt, 
Entließ sie segnend ihre Lieben, 
So stand sie nun allein und alt, 
Ihr war ihr heitrer Mut geblieben. 
Sie hat gespart und hat gesonnen 
Und Flachs gekauft und nachts gewacht, 
Ten Flachs zu feinem Garn gesponnen, 
Das Garn dem Weber hingebracht; 
Der hats gewebt zu Leinewand; 
Die Schere brauchte sie, die Nadel 
Und nähte sich mit eigner Hand 
Ihr Sterbehemde sonder Tadel. 
Ihr Hemd, ihr Sterbehemd, sie schätzt es, 
Verwahrts im Schrein am Ehrenplatz; 
Es ist ihr Erstes und ihr Letztes, 
Ihr Kleinod, ihr ersparter Schatz. 
Lesebuch für höhere Mädchenschulen. IV. l. 12 
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