Volltext: [Band 8 = Zweite und erste Klasse neuntes und zehntes Schuljahr, [Schülerband]] (Band 8 = Zweite und erste Klasse neuntes und zehntes Schuljahr, [Schülerband])

404 ¡^[^[^CTI^[^l^[^CTCTI^[^[^CSaCSaCSOCSaCSOCSaCSaCSa 
welchem die Liebe seiner Kindheit, die Sorge seines halben Lebens 
galt. — — — 
Er war in seinen ersten Jahren ein gar zartes, siechendes Geschöps, 
und in mancher Nacht zitterte die Mutter, daß das matte Lämpchen 
seines Lebens verlöschen werde, ehe der Morgen graute. Dann saß 
sie in dem düstern, niedrigen Schlafzimmer, die Ellbogen aus die 
Kante seines Bettchens gestützt, und starrte mit -brennenden Augen 
auf das magere Körperchen nieder, welches ein Krampf schmerzhaft 
zusammenzerrte. 
Aber er überstand alle die Krisen der ersten Kindheit, und mit fünf 
Jahren war er, wenn auch schwächlich an Gliedern und blaß, fast 
welk im Gesichte — die alten Züge hatte er richtig beibehalten — ein 
gesunder Knabe, ans dessen Emporkommen man Hoffnung setzen konnte. 
In dieselbe Zeit fallen seine frühesten Erinnerungen. Die erste, die 
er sich in späteren Jahren vielfach zurückrief, war folgende: 
Das Zimmer ist halbdunkel. Alt den Fenstern blühen die Eis¬ 
blumen, und rötlich dringt der Schein des Abendrots durch die Gar¬ 
dinen. Die ältern Brüder sind Schlittschuh laufen gegangen, er aber 
liegt in seinem Bette, denn er muß früh schlafen gehen, unb neben 
ihm sitzt die Mutter, die eine Hand um seinen Hals gelegt, die andere 
auf der Kante der Wiege, in welcher die beiden kleinen Schwesterchen 
schlafen, die der Storch vor einem Jahr gebracht, beide an ein 
und demselben Tage. 
„Mama, erzähl' mir ein Märchen," bittet er. 
Und die Mutter erzählte. Was? daran erinnert er sich nur 
dunkel, aber es war darin von einer grauen Frau die Rede, welche in 
allen trüben Stunden die Mutter besucht hatte, eine Frau mit bleichem, 
hagerem Gesicht und dunkeln, verweiitten Augen. Sie lvar lvie ein 
Schatten gekommen und wie ein Schatten gegangen, hatte die Hände 
über der Mutter Haupt gebreitet, ungewiß, ob zum Segen oder zum 
Fluche, und allerhand Worte gesprochen, die auch ans ihn, den kleinen 
Paul, Bezug hatten. Es war darin von einem Opfer und einer Er¬ 
lösung die Rede gewesen, aber die Worte vergaß er wieder, wahrschein¬ 
lich, weil er noch zu dumm war, sie zu verstehen. Aber einer Sache 
erinnerte er sich ganz genau. Während er, schier atemlos vor Grauen 
und Erwartung, den Worten der Mutter lauschte, sah er plötzlich die 
graue Gestalt, von der sie sprach, leibhaftig an der Tür stehen, ganz 
dieselbe mit ihren erhobenen Armen und ihrem blassen, traurigen 
Gesicht. Er verbarg den Kopf im Arme der Mutter, sein Herz pochte, 
der Atem fing an ihm zu fehlen, und in Todesangst mußte er auf¬ 
schreien: „Mama, da ist sie, da ist sie!" „Wer, die Frau Sorge?" 
fragte die Mutter. Er antwortete nicht und fing zu weinen an. „Wo 
denn?" fragte die Mutter weiter. „Dort in der Tür," erwiderte er.
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.