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Würde gerichtet waren, unerbittlich. Dagegen konnte man ihm mit
Schmeicheleien niemals zu viel bieten, während jeder Widerspruch, auch
der bestgemeinte und bescheidenste ihm unerträglich war. Geldgierig
von Natur, zwang er sich um des Glanzes willen zu Verschwendung
und Pracht. Ebenso sehr wußte er sich auch, von Anlage keineswegs
mutig, aus Rücksicht auf seine Würde zu Ruͤhe und Kaltblütigkeit in
der Gefahr zu nötigen. Jede seiner Bewegungen, jede seiner Ver—
beugungen, jedes seiner Worte war berechnet und doch von angeborner
Anmut. Sein ganzes Leben war ein Theaterspielen, aber mit solcher
Kunst, daß nur die Scharfsichtigsten es bemerklen.
Dies erhabene, höchst selbstbewußte Königtum war mit einer
Etiquette umgeben, die einem der Gottheit geweihten Kultus nicht unähn—
lich war. Damit sollte eben das Königtum weit und unvergleichlich
über alle Klassen der Nation erhöht werden. Ludwig XIV. wollte
nicht mehr, wie sein Großvater der erste Edelmann“ seines Reiches
sein, sondern eine über die höchsten Spitzen der Aristokratie sich unnahbar
erhebende Persönlichkeit. Jeder Schritt war auf das genaueste geregelt.
Anders waren die Gebräuche in Versailles, anders in Marly, anders
in Trianon, anders in Fontainebleau. Die Zahl der Hofchargen und
der dem König persönlich zu leistenden Bedienungen wurde beträchtlich
vermehrt. Die Großen des Reichs drängten sich vom Lever an bis
zum Abend in den Vorzimmern des Königs, in den Gängen, die er
passieren mußte, in der Kirche, die er besuchte, in den Gärten, die er
durchschritt. So lebten sie in müßiger, vergoldeter Knechtschaft, während
die eigentlichen, ernsthaften Geschäfte von talentvollen Plebejern ge—
leitet wurden.
Des Morgens um 8 Uhr ließ Ludwig sich wecken; es war das
größte Vorrecht, bei dem Aufstehen des Königs und bei seiner Morgen—
toilette zugegen zu sein; die vornehmsten Herren betrachteten es als
höchste Gunst, ihm das Waschwasser, das Morgenkleid reichen zu dürfen.
Bei der Messe, die der Monarch, wenn er wohl war, nie versäumte,
mußte der ganze Hof zugegen sein. In gotteslästerlicher Weise wanden
da die Höflinge dem Altar den Rücken, das Gesicht dem im Gebete
knienden Könige zu! Wenn der König, wie gewöhnlich vom „kleinen
Couvert“ speiste, durfte höchstens seine Gemahlin neben ihm sitzen.
Sein Bruder und seine Söhne und Enkel durften stehend zuschauen,
Monsieur — sein Bruder — mußte ihm von Zeit zu Zeit die Serviette
reichen. Glänzender war die Abendtafel, zu der fast regelmäßig eine
größere oder kleinere Anzahl von Hofleuten durch Namensaufruf
geladen wurde; man betrachtete auch dies als ein großes Glück. Jedes
Gericht, das man dem Könige auftrug, wurde in feierlichem Aufzuge,
geleitet von elf Hotelmeistern, mit weißen Stäben in der Hand, von
der Küche auf die Tafel gebracht“ Wenn sich der König nachts zur
Ruhe legte, waren wieder die Vornehmsten und die Günstlinge zugegen,
abermals war jede Handreichung an die Bevorzugten verteilt. und