Full text: [Teil 3, [Schülerband]] (Teil 3, [Schülerband])

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Würde gerichtet waren, unerbittlich. Dagegen konnte man ihm mit 
Schmeicheleien niemals zu viel bieten, während jeder Widerspruch, auch 
der bestgemeinte und bescheidenste ihm unerträglich war. Geldgierig 
von Natur, zwang er sich um des Glanzes willen zu Verschwendung 
und Pracht. Ebenso sehr wußte er sich auch, von Anlage keineswegs 
mutig, aus Rücksicht auf seine Würde zu Ruͤhe und Kaltblütigkeit in 
der Gefahr zu nötigen. Jede seiner Bewegungen, jede seiner Ver— 
beugungen, jedes seiner Worte war berechnet und doch von angeborner 
Anmut. Sein ganzes Leben war ein Theaterspielen, aber mit solcher 
Kunst, daß nur die Scharfsichtigsten es bemerklen. 
Dies erhabene, höchst selbstbewußte Königtum war mit einer 
Etiquette umgeben, die einem der Gottheit geweihten Kultus nicht unähn— 
lich war. Damit sollte eben das Königtum weit und unvergleichlich 
über alle Klassen der Nation erhöht werden. Ludwig XIV. wollte 
nicht mehr, wie sein Großvater der erste Edelmann“ seines Reiches 
sein, sondern eine über die höchsten Spitzen der Aristokratie sich unnahbar 
erhebende Persönlichkeit. Jeder Schritt war auf das genaueste geregelt. 
Anders waren die Gebräuche in Versailles, anders in Marly, anders 
in Trianon, anders in Fontainebleau. Die Zahl der Hofchargen und 
der dem König persönlich zu leistenden Bedienungen wurde beträchtlich 
vermehrt. Die Großen des Reichs drängten sich vom Lever an bis 
zum Abend in den Vorzimmern des Königs, in den Gängen, die er 
passieren mußte, in der Kirche, die er besuchte, in den Gärten, die er 
durchschritt. So lebten sie in müßiger, vergoldeter Knechtschaft, während 
die eigentlichen, ernsthaften Geschäfte von talentvollen Plebejern ge— 
leitet wurden. 
Des Morgens um 8 Uhr ließ Ludwig sich wecken; es war das 
größte Vorrecht, bei dem Aufstehen des Königs und bei seiner Morgen— 
toilette zugegen zu sein; die vornehmsten Herren betrachteten es als 
höchste Gunst, ihm das Waschwasser, das Morgenkleid reichen zu dürfen. 
Bei der Messe, die der Monarch, wenn er wohl war, nie versäumte, 
mußte der ganze Hof zugegen sein. In gotteslästerlicher Weise wanden 
da die Höflinge dem Altar den Rücken, das Gesicht dem im Gebete 
knienden Könige zu! Wenn der König, wie gewöhnlich vom „kleinen 
Couvert“ speiste, durfte höchstens seine Gemahlin neben ihm sitzen. 
Sein Bruder und seine Söhne und Enkel durften stehend zuschauen, 
Monsieur — sein Bruder — mußte ihm von Zeit zu Zeit die Serviette 
reichen. Glänzender war die Abendtafel, zu der fast regelmäßig eine 
größere oder kleinere Anzahl von Hofleuten durch Namensaufruf 
geladen wurde; man betrachtete auch dies als ein großes Glück. Jedes 
Gericht, das man dem Könige auftrug, wurde in feierlichem Aufzuge, 
geleitet von elf Hotelmeistern, mit weißen Stäben in der Hand, von 
der Küche auf die Tafel gebracht“ Wenn sich der König nachts zur 
Ruhe legte, waren wieder die Vornehmsten und die Günstlinge zugegen, 
abermals war jede Handreichung an die Bevorzugten verteilt. und
	        
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