Full text: [Teil 3, [Schülerband]] (Teil 3, [Schülerband])

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Unbehaglichkeit hören die meisten, mit Bangigkeit sogar Bessere euch 
an, und der Augenblick rückt sichtbar herbei, wo ein langes, melan— 
cholisches Verstummen das Gesetz eurer bürgerlichen Existenz und die 
harte, aber gebieterische Bedingung eurer persönlichen Freiheit sein 
wird. Dieses alles und mehr noch als dieseß — denn va bestimmt 
die Grenze des Übels! — Herdet ihr nicht bloß mit Standhaftigkeit 
und Gleichmut, die auch Geringeren, als ihr, nicht versagt sind, sondern 
mit dem stolzen, begeisternden Bewußtsein unzerstörbarer Überlegenheit 
ertragen, wenn ihr groß und stark genug seid, euch selbst nie untten 
zu werden. So lange ihr aufrecht steht, ist nichts ohne Hoffnung 
gefallen; selbst das Grab öffnet sich wieder, der Tod ist uur Scheintod 
gewesen, wenn die Lebenskraft im Herzen zurückblieb. Ob ihr leben 
werdet, um eurer Beharrlichkeit Lohn, um den öffentlichen Triumph 
eurer Sache, um die Wiedergeburt aller Dinge zu feiern, hängt von 
unerforschlichen Ratschlüssen ab. Doch für euch, wenn ihr ireu haltet 
um Glauben, und für eure zukünftigen Zöglinge und Erben ist leben 
und siegen nur eins. In euch steigt das scheinbar Gesunkene mit 
erneuter Herrlichkeit wieder auf; in euch ist das scheinbar Verlorene 
schon vollständig wiedergefunden; das Vaterland, das europäische Ge⸗ 
meinwesen, die Freiheit und Würde der Nationen, die Herrschaft des 
Rechtes und der Ordnungen, aller vergangenen Jahrhunderte Werke 
blühen fort in eurem Gemüte; dort, wo kein Verhaͤuguis euch erreichen, 
kein Tyrann euch beikommen kann, befestigt und verjüngt sich wieder 
die Welt. Euer unmitlelbarer Einfluß mag gehemmt, euer Wirkungs⸗ 
kreis mit engen Schranken umzogen, eure Hand in Fesseln gelegt, 
euer Mund gewaltsam verschlossen werden: dieses alles sind nur Außen 
werke eurer Macht. Euer fester, unerschütterlicher Sinn, die anerkannte 
Unwandelbarkeit eurer Grundsätze, eure stille, immerwährende Protestation 
gegen alles, was frevelhafte Gewalt zu stiften oder zu rechtfertigen 
wähnt, die dem Feinde und dem Freunde gleich gegenwärtige, lebhafte 
Überzeugung, daß der Krieg zwischen der Ungerechligkeit und euch sich 
durch keine falschen Unterhandlungen schlichten, durch keine eingestellte 
Waffenstillstande unterbrechen, durch keine treulose Friedens akte beendigen 
läßt, die würdige, tapfere, flets aufrechte, stets gerüstete Stellung, in 
welcher ihr euern Zeitgenossen erscheint, — das sind eure unvergäng⸗ 
lichen Waffen. Eure bloße, isolierte Existenz ist ein beständiges Schreck— 
bild für die Umerdrucer und für die Bedrückten ein undersiegbarer 
Trost Vergeßt nie, daß da, wo ihr euch befindet, der wahre Millel 
punkt aller Ünkernehmungen ist, wodurch, früher oder später, Europa 
von der Knechtschaft erlösen, das Gesetzbuch der Willkür zerrissen, der 
hochmütige Luftbau vergänglicher Übermacht gestürzt und ein neuer 
unsterblicher Bund zwischen Freiheit, Ordnung und Frieden für eine 
lücklichere Nachwelt gegrundet werden muß. Nicht England, nicht 
Rußland vermögen es; als Bundesgenossen sind beide erwünscht, als 
Gegengewicht vber Hilfsmttet unschätzbar; aber das eigentliche Werk 
Deutsches Lesebuch f. höhere Lehranstalten. III. 
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