Full text: (Prosa) (Teil 7 - 9 in 1 Bande, [Schülerband])

Die junge Frau in Deutschland ist unter der Herrschaft des Atelier- 
stils aufgewachsen. Da ist es natürlich, daß ihr Geschmack sich leicht 
einem Gegensatz zuneigt. Die Überfülle und Überladung, Bombast, 
leerer Prunk und billiger Putz üben keinen Reiz auf ihre Empfindung. 
Sie mag nichts besitzen, das keinem praktischen Zweck dient, sie haßt die 
bloße Dekoration, sie freut sich an Ruhe und vornehmer Schlichtheit. 
Teller an der Wand, Gefäße auf hohem Bort, überflüssige Vorhänge 
und Draperien, billige Schnitzereien sind ihr zuwider. 
Dann ist sie ein praktischer Geist. Selbst in glänzenden Verhält¬ 
nissen will sie die Zahl der Dienstboten nicht über das absolut Not¬ 
wendige anwachsen lassen, denn sie hat die Zügel selbst in der Hand. 
Sie wird alle Erzeugnisse der dekorativen Kunst auf die praktische 
Brauchbarkeit ansehen und auf die Geeignetheit, sich einem ohne über¬ 
mäßigen Kraftaufwand verwaltbaren Hausstand einzufügen. 
Diese schon vorhandnen Tendenzen werden in der nächsten Zeit 
weiter um sich greifen und zugleich festere Wurzeln fassen. Mit ihnen 
hat die dekorative Kunst unter allen Umständen zu rechnen. 
Ein Teil der von modernen Künstlern geschaffnen dekorativen 
Arbeiten will keinem praktischen Zweck dienen, der fällt unter eine eigne 
Rubrik. Wir wollen uns nur um die Gegenstände kümmern, die eine 
Verwendbarkeit vorgeben. 
Wer sich heute die Ausstellungen der von Künstlern entworfnen 
Möbel und Geräte vom Standpunkt der deutschen Hausfrau betrachtet, 
dem wird es wie Schuppen von den Augen fallen. 
Da steht eine herrliche Truhe, mit schönen Figuren geschnitzt oder 
ganz mit Schmiedeeisen beschlagen, in Farbe und Form neu und ein 
großes Kunstwerk, von dessen dekorativem Inhalt eine ganze Schule 
leben kann. Die Hausfrau wird sich sagen: ein Museumsstück. Ich kann 
es nirgends aufstellen. Meine Korridore sind zu eng, in den Zimmern 
kann ich Aufbewahrungsmöbel nicht brauchen. Außerdem ist die Truhe 
ein ausgestorbnes Tier wie das Dinotherium oder der Ichthyosaurus. 
Sie war praktisch für das Mittelalter, wo man seine Habe bei Wasser-, 
Feuer- und Kriegsgefahr schnell auf den Wagen packen mußte. Wir 
können sie höchstens auf den Boden stellen, um Vorräte aufzubewahren. 
Dafür genügt aber eine einfache Kiste. Auch der Nachfolger der Truhe, 
die Kommode, ist schon ein historischer Begriff. Im Wohnzimmer be¬ 
wahren wir nichts mehr auf, im Schlafzimmer ist der Schrank mit
	        
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