Full text: Für die Klase IV (Teil 3 = Unterstufe, [Schülerband])

J. P. Hebel, Kannitverstan. 
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Kaffee, voll Reis und Pfeffer. Als er aber lange zugesehen hatte, 
fragte er endlich einen, der eben eine Kiste auf der Achsel heraustrug, 
wie der glückliche Mann heiße, dem das Meer alle diese Waren an 
das Land bringe. „Kannitverstan!“ war die Antwort. Da dachte er: 
„Haha, schaut's da heraus? Kein Wunder! Wem das Meer solche Reich— 
tümer an das Land schwemmt, der hat gut solche Häuser in die Welt 
stellen und so prächtige Tulpen vor die Fenster in vergoldeten Töpfen.“ 
Jetzt ging er wieder zurück und stellte eine recht traurige Betrachtung 
bei sich selbst an, was er für ein armer Teufel sei unter so viel reichen 
Leuten in der Welt. 
Aber als er eben dachte: „Wenn ich's doch nur auch einmal so gut 
bekäme, wie dieser Herr Kannitverstan es hat!“ kam er um eine Ecke 
und erblickte einen großen Leichenzug. Vier schwarz vermummte Pferde 
zogen einen ebenfalls schwarz überzogenen Leichenwagen langsam und 
traurig, als ob sie wüßten, daß sie einen Toten in seine Ruhe führten. 
Ein langer Zug von Freunden und Bekannten des Verstorbenen folgte 
nach, Paar um Paar, in schwarze Mäntel gehüllt und stumm. In der 
Ferne läutete ein einsames Glöcklein. Jetzt ergriff unsern Fremdling 
ein wehmütiges Gefühl, das an keinem guten Menschen vorübergeht, 
wenn er eine Leiche sieht, und er blieb mit dem Hut in den Händen 
andächtig stehen, bis alles vorüber war. Doch machte er sich an den 
Letzten vom Zug, der eben in der Stille ausrechnete, was er an seiner 
Baumwolle gewinnen könnte, wenn der Centner um zehn Gulden auf— 
schlüge, ergriff ihn sachte am Mantel und bat ihn treuherzig um Ent— 
schuldigung. „Das muß auch wohl ein guter Freund von Euch gewesen 
sein,“ sagte er, „dem das Glöcklein läutet, daß Ihr so betrübt und nach— 
denklich mitgeht?“ „Kannitverstan!“ war die Antwort. Da fielen unserm 
guten Schwaben ein paar große Thränen aus den Augen, und es ward 
ihm auf einmal schwer und wieder leicht ums Herz. „Armer Kannit— 
verstan!“ sprach er bei sich, „was hast du nun von all deinem Reichtum? 
Was ich einst von meiner Armut auch bekomme: ein Totenkleid und 
ein Leintuch und von all deinen schönen Blumen vielleicht einen Ros— 
marinstrauß auf die kalte Brust oder eine Raute.“ Mit diesen Gedanken 
geleitete er die Leiche, als wenn er dazu gehörte, bis ans Grab, sah 
den vermeinten Herrn Kannitverstan hinabsenken in seine Ruhestätte und 
ward von der holländischen Leichenpredigt, von der er kein Wort ver— 
stand, mehr gerührt als von mancher deutschen, auf die er nicht acht 
gab. Endlich ging er leichten Herzens mit den anderen wieder fort und 
verzehrte in einer Herberge, wo man deutsch verstand, mit gutem Appetit 
sein kärgliches Mahl. 
Und wenn es ihm wieder einmal schwer fallen wollte, daß so viele 
Leute in der Welt so reich seien und er so arm, dann dachte er nur an
	        
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