W. O v. Horn, Drei Tage und zwei Lieder.
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um den kalten Ofen, frierend, hungernd, weinend. Der Mutter wollte
das Herz brechen; der Vater aber sprach: „Gott hat gesagt: Rufe
mich an in der Not, so will ich dich erretten, und du sollst mich preisen.
Kommt, wir wollen beten!“ Er betete inbrünstig, gläubig; und als
er Amen gesagt hatte, leuchtete ein Strahl frohen Vertrauens ins
matte Herz. Die Mutter aber ging nebst zwei Kindern hinaus auf
den Zimmerplatz, Späne aufzulesen. Es war ein heller Wintertag;
ein kalter Ostwind blies mit schneidender Schärfe durch die dünnen
Röcklein der Armen, daß sie zitterten vor Frost und Hunger.
Zu eben dieser Zeit war Gellert seiner Gesundheit wegen aus—
gegangen; er folgte im warmen Pelzrocke der Mutter und den Kindern.
Die Kleinen waren vorausgesprungen, die Frau kam langsamen Schrittes
nach, und unter hellen Thränen setzte sie sich auf einen Stein nieder.
Gellert kannte Kummer und Not. Bei kärglichem Einkommen und drei—
zehn lebendigen Kindern waren beide oft in seinem Vaterhause zu Gast
gewesen. Darum ging er leise zu der Armen und fragte sie so herz⸗
inniglich nach ihrer Not, daß seine Worte ihr tief in die Seele drangen
und sie all ihren Kummer und Jammer dem unbekannten Herrn mit—
teilen konnte: wie Neidhardt sie heute oder morgen zur Herberge hinaus—
werfen werde, wenn sie die dreißig Thaler nicht zahlen könnten, wie
das ihres Mannes Tod sein werde, und wie sie und ihre Kinder vor
Hunger sterben müßten.
„Frau,“ rief Gellert, „der Herr lebt noch, und wenn Ihr glaubt,
werdet Ihr seine Herrlichkeit sehen!“ Er befahl ihr darauf, ihm zu folgen,
schloß zu Hause sein Pult auf, nahm dreißig Thaler heraus und gab
sie der Frau. Als dieselbe vor Freude niederfallen und seine Kniee um—
klammern wollte, wehrte er ab und sagte: „Danket Gott, der Euer
Gebet erhört hat. Geht jetzt aber nicht früher als um elf Uhr zu
Neidhardt, ihm das Geld zu bringen.“
Dann hatte sich Gellert im Kämmerlein zum Herrn gewandt und
war kurz vor elf Uhr zu dem alten Neidhardt gegangen, der eben vor
einem Tische mit Geld saß und es ungern hatte, daß er gestört wurde,
aber einem so allgemein geachteten Manne gegenüber artiger sein mußte,
als es ihm ums Herz war. Gellert sagte: „Herr Neidhardt, von Ihnen
kann man gewiß viel Gutes lernen. Sie werden die Kunst verstehen,
mit Ihrem Gottessegen wahrhaft wohlzuthun.“ Der Geizhals war in
Verlegenheit; denn gut deutsch sagte ihm sein Gewissen das Gegenteil,
und er wünschte den Professor über alle Berge. Gellert aber fuhr
fort, von den seligen Freuden des Wohlthuns so eindringlich zu reden,
daß es dem Wucherer ganz warm ums Herz wurde.
Da schlug es elf, und mit dem Schlage trat die arme Frau herein
mit einem strahlenden Gesicht und rief: „Da bringe ich Ihnen die dreißig