Full text: Prosa (Teil 8, [Schülerband])

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das Zeichen der höchsten künstlerischen Vollendung aufdrückte. In dieser 
Beziehung war Mörike allerdings kaum mit eineni andern vor ihm 
näher verwandt als mit Goethe, obwohl er im übrigen in der Dichtkunst 
unsres Jahrhunderts völlig eine Welt für sich darstellt, die sich mit 
keiner literargeschichtlichen Schablone decken läßt. Mörike besaß vor 
allem jene einfache und in der Einfachheit große dichterische Wahrhaftig¬ 
keit, die wir an Goethe bewundern; er machte nichts, er erzwang nichts, 
es gab bei ihm keine Anempsindung, kein Sichsteigern und Sichstimmen, 
er beharrte nicht eigensinnig, er verbohrte sich nicht: die lyrische Dich- 
tung wuchs bei ihm still und schlicht wie die Frucht am Baum, und 
wenn sie von selbst fiel, merkte man ihr nichts mehr an von müh¬ 
seligem, vielleicht vielfach gehemmtem Werden und Entstehen — sie war 
da mit der Gültigkeit des Naturwahren, bildgewordne Stimmung, ob¬ 
jektiv abgelöst vom Subjekt des Dichters. „Er ist's" — der Frühling 
selbst, nicht ein dichtendes Menschenkind, das Frühlingsempfindungen 
hegt! Die Nacht selbst steigt „um Mitternacht" ans Land, der Wind 
selbst fährt im „Lied vom Winde" durch die weit weite Welt, und 
wenn „das verlaßne Mägdlein" am Herd in die springenden Funken 
schaut, so schaut alles mit darein, was menschliche Herzensverlassen¬ 
heit heißt. 
Die künstlerische Abgeklärtheit und Reife dieser Lyrik hing aber 
weiter zusammen mit einer besondern Stärke seelischen Eigenlebens, mit 
einer vertieften Innerlichkeit, die sonst grade so vielen geistreichen Leuten 
und blendenden Talenten mangelt, die wenige Dichter außer Goethe in 
dem Maß besaßen wie Mörike; nur daß sich bei Goethe damit zu- 
gleich der Drang zum Wirken verband, während Mörike das stete Be¬ 
dürfnis hatte, sich einzuspinnen, und so den Umkreis seines Lebens und 
Dichtens enger begrenzte, dafür aber auch vollständig dichterisch aus¬ 
füllte. Der kranke Lenau war auch vertraut mit sich selbst, der eitle 
Heine kannte sich bis aufs Tüpfelchen aus dem Spiegel, aber sie waren 
nicht einig mit sich selbst; das starke Innenleben Mörikes dagegen hatte 
all den Zwiespalt, der keiner Dichterseele fehlt, schon zum Einklang 
verarbeitet, ehe es sich dichterisch aussprach, er hielt fest zusammen mit 
seinem Herzen und kannte es, „wie sich Schwert und Schild erkennen, 
Schild und Schwert einander lieben" — und das war Natur und Er¬ 
leuchtung, er brauchte keinen Spiegel dazu. Sowie sich's nun aber darum 
handelte, jenem Innenleben den dichterischen Ausdruck zu schassen, so wirkte 
Mörikes Phantasie mit einer verdichtenden Kraft bildmäßiger Anschau¬ 
ung, wie sie unter Dutzenden von sonst wackern Lyrikern abermals nur 
wenige haben, nur die allerechtesten, die man in einem Atem mit Goethe 
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