Full text: [Abteilung 3 = Quarta, [Schülerband]] (Abteilung 3 = Quarta, [Schülerband])

Masius: Deutschlands vorzüglichste Laubhölzer, Eiche, Buche und Linde. 117 
Tanne und drängen ihre Fächer zu einem einzigen Gewölbe zusammen« 
Das stumpf eiförmige Blatt stimmt zu dem Charakter des Ganzen. 
Es bildet der Verzweigung entsprechend meist dachartige Schichten, die 
spitz auslaufen, oder es stiegt flockig aus einander, ohne in Massen zu 
verschmelzen. Fest gewebt und an den kurzen Stiel geheftet, giebt es 
sich nicht zum leichten, tönenden Spiel des Windes. Das Laub macht 
vielleicht den schönsten Schmuck der Buche aus; es quillt in der üppig¬ 
sten, saftigsten Fülle hervor, und von der Sonne beschienen, bietet jedes 
einzelne Blatt einen Spiegel, der die anmutigsten Lichtwechsel entfaltet. 
Und so tief saugt es dieses Licht ein, daß, selbst wenn der Frost es 
schon berührt, das Buchenblatt vor allem anderen Laube in den feurig¬ 
sten Goldtinten erglänzt. Wer den Thüringer Wald oder das Jlsethal 
durchzogen hat, wird den Zauber des Buchenwaldes kennen. Gewal¬ 
tige Blöcke, von Farrenkraut umwuchert, liegen zu den Füßen der 
ernsten Bäume, unter denen hervor kühlatmend der Quell seine Silber¬ 
fäden zwischen Blumen und Wurzeln hindurchzieht. Über den Wipfeln 
aber brennt der Mittag. Jedes Blatt wird ein Sonnentropfen, ein 
funkelnder Smaragd, und grüngoldenes Märchenlicht dämmert durch 
die Halle. Der Fingerhut steckt seine Kerzen auf, aus den Steinritzen 
schlüpft die Eidechse, blauflüglige Libellen wiegen sich auf den Halmen. 
Dazwischen schießt ein Sonnenblitz an den Stämmen nieder, über den 
Moosteppich zittern schillernde Lichtkugeln, alles ist seltsam füll, wie 
verzaubert; aber unten, wo das Waldthor sich öffnet, winken Wiesen 
und Dörfer, ein Flüßchen leuchtet auf, und befreundet grüßt melodi¬ 
sches Herdengeläute. 
Voll Würde und Anmut, in Stärke und Zartheit steht die Linde 
da, die herrlichste unter allen unseren Bäumen. In edler Mächtigkeit 
mit der Eiche wetteifernd, erhebt sich der Stamm, ruhig und groß 
greift die Krone hinauf, und aus allen Röhren schießt Zacken und 
Zweig. Aber wie der Strahl des Springquells im Bogen sich wieder 
senkt, so rundet sich das spitz aufdringende Astdickicht gefälligen Schwun¬ 
ges wieder hinab und zerläßt seine Kraft in einem weiten Zweig¬ 
gehänge, das auch ohne Sommerschmuck noch schön ist. Um diesen 
reizenden Bau schmiegt sich die Fülle der Blätter, jedes ein leicht be¬ 
wegtes grünes Herz. Die Blüte hängt ihre Duftfäden daran, und in 
ihrem lockeren Umriß verschwimmt das Geäst. So bildet das Ganze 
einen einzigen Laubpalast voll Majestät und Lieblichkeit. 
Die Linde ist bei uns kein Waldbaum; vertraulich tritt sie aus 
der Wildnis an den Menschen und sein Haus. Selbst in den Pomp 
der Königsstädte hat sie, ein frommer Gruß der Natur, ihn begleitet. 
Aber dort ist ihre Heimat nicht. Im Dorfe, auf dem Burghof, am 
Quell, auf dem Hügel, wo die Schnitter rasten, im Thal, wo die 
Schalmeien klingen, da ist ihre Stelle. Das ist der Baum, unter 
dessen Zweigen die Jungen sich zum Spiel und die Alten zu ernster 
Rede sammeln; das ist die Linde, in deren Schatten der Dichter träu¬ 
mend sein Leid vergißt, aus deren Wipfeln die Nachtigall ihn grüßt.
	        
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