Full text: [Cursus 2, [Schülerband]] (Cursus 2, [Schülerband])

337 
Und spielt und weckt der Töne Strom, 
Der mächtig fluthet durch den Dom. 
Und blickt dazu so süß und mild, 
Wie ganz in Seligkeit versunken: 
Und Hesper sieht das Engelsbild 
Und hört die Töne wonnetrunken 
Und weiß nichts mehr von Erdensinn, 
Sein Geist schwimmt auf den Klängen 
hin. 
- Und als er so recht selig ist, 
Ist nicht der Engel mehr vorhanden; 
Und Glocken tönen, daß der Christ 
Aus Grab und Todesnacht erstanden; 
Und fromme Christen nah und fern 
Zieh'n freudig hin in's Haus des Herrn. 
Er aber, seiner nicht bewußt, 
Setzt sich zu seinem Orgelwerke 
Und spielt aus himmelsvoller Brust 
Das Lied der Huld, das Lied der Stärke, 
Was unerreichbar in ihm lag, 
Das hohe Lied des Engels nach. 
Und Staunen herrscht im Gottes¬ 
haus, 
Wie dieser Töne Wunder schallen: 
Sie sprachen Unnennbares aus; 
Und alle Beter niederfallen, 
Und alle Herzen heben sich 
Zu Gott im Fleh'n andächtiglich. 
Da schweigt der Ton, still wird's 
umher — 
Berwaiset ist die Orgel worden. 
Der treue Meister ist nicht mehr, 
Er schied auf himmlischen Akkorden; 
Ihm war das Höchste aufgethan; 
Der letzte Ton rief ihn hinan. 
Winkler (ps. Theodor Hell). 
22. Der Geiger zu Gmünd. 
Einst ein Kirchlein sonder Gleichen — 
Noch ein Stein von ihm steht da — 
Baute Gmünd der sangesreichen 
Heiligen Cäcilia. 
Lilien von Silber glänzten 
Ob der Heil'gen mondenklar, 
Hell wie Morgenroth bekränzten 
Gold'ne Rosen den Altar. 
Schuh', aus reinem Gold geschlagen, 
Und von Silber hell ein Kleid 
Hat die Heilige getragen; 
Denn da war's noch gute Zeit, 
Zeit, wo über'm fernen Meere, 
Nicht nur in der Heimath Land, 
Man der Gmünd'schen Künstler Ehre 
Hell in Gold und Silber fand. 
Und der fremden Pilger wallten 
Zu Cäcilia's Kirchlein viel; 
Ungeseh'n, woher, erschallten 
D'rin Gesang und Orgelspiel. 
Einst ein Geiger kam gegangen, 
Ach, den drückte große Noth; 
Matte Beine, bleiche Wangen, 
Und im Sack kein Geld, kein Brod! 
Vor dem Bild hat er gesungen 
Und gespielet all' sein Leid, 
Hat der Heil'gen Herz durchdrungen; 
Horch! melodisch rauscht ihr Kleid! — 
Lächelnd bückt das Bild sich nieder 
Aus der lebenslosen Ruh', 
Wirst dem armen Sohn der Lieder 
Hin den rechten gold'nen Schuh. 
Oltrogge, Leseb. II. I2te Aufi. 
Nach des nächsten Goldschmieds Hause 
Eilt er, ganz vom Glück berauscht, 
Singt und träumt vom besten Schmause, 
Wenn der Schuh um Geld vertauscht. 
Aber kaum den Schuh ersehen, 
Führt der Goldschmied rauhen Ton, 
Und zum Richter wird mit Schniähen 
Wild geschleppt des Liedes Sohn. 
Bald ist der Proceß geschlichtet, 
Allen ist es offenbar, 
Daß das Wunder nur erdichtet, 
Er der frechste Räuber war. 
Weh', du armer Sohn der Lieder, 
Sangest wohl den letzten Sang! 
An dem Galgen auf und nieder 
Sollst, ein Vogel, fliegen bang. 
Hell ein Glöcklein hört man schallen, 
Und man sieht den schwarzen Zug 
Mit dir zu der Stätte wallen, 
Wo beginnen soll dein Flug. 
Bußgcsänge hört man singen, 
Nonnen und der Mönche Chor, 
Aber hell auch hört man dringen 
Geigentöne d'raus hervor. 
Seine'Geige mitzuführen, 
War des Geigers letzte Bitt'! 
„Wo so Viele musiciren, 
Musicir' ich Geiger mit!" 
An Cäcilia's Kapelle 
Jetzt der Zug vorüberkam, 
Nah' des offnen Kirchleins Schwelle 
Geigt er recht in tiefem Gram. 
22
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.