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-Berge seines Geburtslandes, die Schauplätze seiner Kindheit.
Hier lebte er in behaglicher Unabhängigkeit der Kunst und
dem erheiternden Verkehr mit seinen Freunden; hier empfing
und bewirthete er, schon sechsundneunzigjährig, König Hein¬
rich HI. von Frankreich nebst zahlreichem Gefolge in wahrhaft
fürstlicher Weife. Hier war der Schauplatz jener reizenden
geselligen Unterhaltungen, von denen ein dabei Beteiligter,
Francesco Priscianese in einem 1553 veröffentlichten Briefe eine
so anziehende Schilderung entwirft. In dem prächtigen Garten
Tizians versammelten sich Jacopo Sansovino, Pietro Aretino,
Jacopo Nardi (der berühmte florentinische Geschichtsschreiber)
und der Erzähler. Unter Besichtigung der Gemälde, mit denen
das Haus angefüllt war, und unter geistvollen Gesprächen ver¬
flog die Zeit bis zum Abend. Als die Sonne gesunken war,
und das Meer und die fernen Inseln in rosig goldene Lichtströme
sich tauchten, belebte sich die weite Wasserfläche mit tausend
Gondeln, von denen das Lachen schöner Frauen, untermischt
mit Gesang und Lautenklängen, herüberschallte. Die kleine er¬
lesene Gesellschaft aber fass, angesichts dieser anmutigen Scenerie,
in der erquickenden Kühle beim köstlich bereiteten Abendmahle
bis tief in die Nacht hinein.
Zu andern Stunden mochte wohl der Meister, im höchsten
Alter noch voll Jugendfrische, am Abende seines Lebens hier
sinnend weilen, nach den fernen Bergen seiner Heimat hinüber¬
blicken und die lange Reihe seiner glückgesegneten Jahre an sich
vorüberziehen lassen. Was ein Erdendasein schmücken und er¬
heben kann, das hatte er in reichstem Masse genossen; die höchste
Kraft künstlerischer Begabung und eine über die gewöhnlichen
Grenzen weit hinausreichende unerschöpfliche Lebensfülle. Das
Bild ursprünglichster Gesundheit und Tüchtigkeit des Geistes und
des Körpers, schien er der zerstörenden Macht der Zeit Trotz
zu bieten. Jeder höchste Erfolg in seiner Kunst, Ruhm, Gewinn
und Anerkennung der Besten beglückte ihn und blieb ihm bis
an das späte Lebensende treu. Wenn fein bevorzugter Sohn
Pompon io durch ausschweifendes Leben dem Vater manchen
Kummer machte, so erscheint dies als der einzige Schatten in
einer solchen Ueberfiille von Licht, wie eine nothwendige Sühne
für eine so wunderbare Gunst des Geschickes. Aber wir dürfen
nicht ausschliesslich vom beispiellosen Glück des Meisters sprechen.
Wir müssen nicht vergessen, dass es in dem schönen Gleichmass
seiner Natur, in der seltensten Harmonie von Geistigem qnd Sinn¬
lichem begründet war. Als im Jahre 1576 die Pest den neun-
undneunzigjährigen Meister sammt seinem Sohne und Schüler
Orazio hinraffte, endete eine der reichsten und glücklichsten Exi¬
stenzen, die je gelebt wurden.
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