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Frage anfängt: was mag an diesem Bilde den Maler wohl
zuerst interessiert haben? Dabei darf man sich nicht durch das
beeinflussen lassen, was als Inhalt des Bildes angegeben wird,
denn viele Unterschriften entstehen erst, wenn die Bilder fast fertig
sind. Oft ist es eine einzige Linie, um derentwillen ein Bild
gemacht wurde, oft ein Farbengegensatz, oft eine Bewegung. Es
gibt Bilder, welche zwei oder drei Ausgangspunkte zu haben
scheinen, oder bei denen das Interesse des Künstlers während
der Ausführung gewechselt hat. Nur selten wird man durch
bloßes Anschauen die ganze Entstehungsgeschichte enträtseln, aber
es ist sehr lehrreich, an ihr herumzugrübeln, denn indem man
nach der Geschichte des Bildes sucht, lernt man es kennen.
6.
Der Beschauer fragt sich, ob es ein Beleuchtungseindruck war,
der den Maler veranlaßte, gerade dieses Bild zu malen. Da¬
durch kommt er darauf, den Lichtverhältnissen seine Aufmerksam¬
keit zu schenken. Von wo kommt das Licht? Sind Schatten vor¬
handen? Wo steht die Sonne? Ist die Luft trocken? Wie würde
das Bild aussehen, wenn der Ausgangspunkt des Lichtes etwas
weiter nach links oder rechts gerückt würde? Hat überhaupt der
Maler eine klare Lichtvorstellung gehabt oder war ihm das Licht
gleichgültig? In welcher Weise verändert der Lichtstrahl die Farbe?
7.
Oft beruht ein Bild auf einem Gegensatz zweier Farben,
etwa auf dem Eindruck eines beleuchtenden Fensters gegenüber
einer in Dämmerung versunkenen Umgebung. Als Böcklin die
„Heimkehr" malte, war vermutlich das erste, was er sah, das
helle Fenster. Zu dem Fenster kam das Haus, zum Haus das
Laubwerk. Dieses schuf sich nun seinen Gegensatz im Abendhimmel.
Der Abendhimmel forderte einen hellen Vordergrund. So ent¬
stand das Wasser zwischen den steinernen Mauern, und erst als
die Mauern vorhanden waren, wurde der Mann auf ihren Rand
gesetzt, der zu jenem Fenster heimkehrt, das zuerst da war. So
etwa kann man sich mit einem- Bilde vertraut machen. Man muß
es als etwas Gewordenes begreifen. _ _ , ^
für interzonale
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