Full text: [Abteilung 4 = Für Unter-Tertia, [Schülerband]] (Abteilung 4 = Für Unter-Tertia, [Schülerband])

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IT. Sagen. 
Betrüge; sie hing mit ganzer Seele an dem Manne, der alle Necken 
überragte, wie der Edelhirsch das niedere Wild. Er aber liebte sie von 
Tag zu Tag mehr, da er ihr reines, sanftes Äerz erkannte. Zn trau¬ 
licher Stunde entdeckte er ihr sogar den gespielten Betrug und gab ihr 
den Verlobungsring, den er von Brynhild erhalten hatte. 
Sigurd war wieder der frische, frohe Äeld, der mit starker Äand 
Schlachten schlug, ein fester, treuer Schutz der Gjukungen. Wie die 
Zugend gern vergißt, was Unheilvolles geschehen ist, so schlug auch er 
sich das Vergangene aus dem Sinn, da ohne seine Schuld, nur durch 
unheimlichen, zauberischen Betrug, Eide gebrochen worden waren. Auch 
Brynhild gewöhnte sich in ihre Häuslichkeit. War doch ihr Gemahl 
in mancher Schlacht bewährt und der mächtigste und reichste König im 
Reiche der Niflungen. Es verdroß sie nur, daß Gudrun ihre An¬ 
sprüche nicht anerkannte, daß sie sich ihr gleich und ebenbürtig dünkte. 
Sie beschloß, diese Anmaßung zu züchtigen. 
(V) Zwist der Frauen. 
Einst gingen die Königinnen zum Strome, ihre Haare zu waschen. 
Brynhild trat zuerst in das Wasier und rief gebieterisch ihrer Schwägerin 
zu, sie solle unterhalb eintreten, damit nicht das Wasser von ihren 
Haaren zu ihr Herunterströme. Gudrun war schon willens, der Rede 
Folge zu leisten; da fügte jene hinzu: „Du solltest gar nicht wagen, 
mit der Königin zu baden; denn du bist doch nur die Frau eines 
Mannes, der ein Vasall, ein Knecht meines Gemahls ist!" Hätten 
die Schmähungen nur ihr gegolten, so würde die sanfte Frau vielleicht 
geschwiegen und sich im stillen gehärmt haben; daß aber der Held, den 
sie liebte und verehrte, herabgewürdigt wurde, ertrug sie nicht. Weit 
hinaus und oberhalb in den Strom watend, rief sie der Gegnerin zu: 
„Sigurd ist ein König, reich und mächtig wie Gunnar. Sein Geschlecht 
stammt von Wölsung und von Odin selbst; seine Taten preisen die 
Helden aller Völker!" „Za," versetzte Brynhild, „den Fafnir schlug 
er mit arger List; aber er wagte nicht, durch die Waberlohe zu reiten, 
der Feigling!" Da lachte Gudrun mit grimmigem Lohn, daß es über 
den Strom hinüberschallte, und sagte, einen Goldreif emporhaltend: 
„Kennst du den Ring Andwaranaut, den er dir nahm, als er an 
Gunnars Statt durch den Flammenzaun geritten war und mit dir die 
Verlobung schloß, mit dir, du stolzes Weib?" 
Es waren nicht Worte, es waren Dolchstiche, die das Herz des 
Weibes trafen und unheilbare Wunden schlugen. Sie ließ die Schleier 
im Strome forttreiben; sie trat ans Llfer, kleidete sich an und ging
	        
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