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IT. Sagen.
Betrüge; sie hing mit ganzer Seele an dem Manne, der alle Necken
überragte, wie der Edelhirsch das niedere Wild. Er aber liebte sie von
Tag zu Tag mehr, da er ihr reines, sanftes Äerz erkannte. Zn trau¬
licher Stunde entdeckte er ihr sogar den gespielten Betrug und gab ihr
den Verlobungsring, den er von Brynhild erhalten hatte.
Sigurd war wieder der frische, frohe Äeld, der mit starker Äand
Schlachten schlug, ein fester, treuer Schutz der Gjukungen. Wie die
Zugend gern vergißt, was Unheilvolles geschehen ist, so schlug auch er
sich das Vergangene aus dem Sinn, da ohne seine Schuld, nur durch
unheimlichen, zauberischen Betrug, Eide gebrochen worden waren. Auch
Brynhild gewöhnte sich in ihre Häuslichkeit. War doch ihr Gemahl
in mancher Schlacht bewährt und der mächtigste und reichste König im
Reiche der Niflungen. Es verdroß sie nur, daß Gudrun ihre An¬
sprüche nicht anerkannte, daß sie sich ihr gleich und ebenbürtig dünkte.
Sie beschloß, diese Anmaßung zu züchtigen.
(V) Zwist der Frauen.
Einst gingen die Königinnen zum Strome, ihre Haare zu waschen.
Brynhild trat zuerst in das Wasier und rief gebieterisch ihrer Schwägerin
zu, sie solle unterhalb eintreten, damit nicht das Wasser von ihren
Haaren zu ihr Herunterströme. Gudrun war schon willens, der Rede
Folge zu leisten; da fügte jene hinzu: „Du solltest gar nicht wagen,
mit der Königin zu baden; denn du bist doch nur die Frau eines
Mannes, der ein Vasall, ein Knecht meines Gemahls ist!" Hätten
die Schmähungen nur ihr gegolten, so würde die sanfte Frau vielleicht
geschwiegen und sich im stillen gehärmt haben; daß aber der Held, den
sie liebte und verehrte, herabgewürdigt wurde, ertrug sie nicht. Weit
hinaus und oberhalb in den Strom watend, rief sie der Gegnerin zu:
„Sigurd ist ein König, reich und mächtig wie Gunnar. Sein Geschlecht
stammt von Wölsung und von Odin selbst; seine Taten preisen die
Helden aller Völker!" „Za," versetzte Brynhild, „den Fafnir schlug
er mit arger List; aber er wagte nicht, durch die Waberlohe zu reiten,
der Feigling!" Da lachte Gudrun mit grimmigem Lohn, daß es über
den Strom hinüberschallte, und sagte, einen Goldreif emporhaltend:
„Kennst du den Ring Andwaranaut, den er dir nahm, als er an
Gunnars Statt durch den Flammenzaun geritten war und mit dir die
Verlobung schloß, mit dir, du stolzes Weib?"
Es waren nicht Worte, es waren Dolchstiche, die das Herz des
Weibes trafen und unheilbare Wunden schlugen. Sie ließ die Schleier
im Strome forttreiben; sie trat ans Llfer, kleidete sich an und ging