Full text: [Abteilung 4 = Für Unter-Tertia, [Schülerband]] (Abteilung 4 = Für Unter-Tertia, [Schülerband])

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II. Sagen. 
öffnen. Das Leer zog ein, voran der königliche Leld, den glänzenden 
Lelm auf dem Laupte, grimmigen Blickes, seines Schwures eingedenk. 
Da strauchelte und stürzte plötzlich sein Streithengst unter ihm, und ein 
Priester rief ihm zu, es sei ein Wahrzeichen, daß er eines jähen Todes 
sterben werde, wenn er sein gottloses Gelübde zur Ausführung bringe 
Diese Worte verfehlten den beabsichtigten Eindruck nicht; der König 
glaubte, schonte und verzieh. 
In fürstlicher Lalle saß Alboin mit seinen Lelden beim festlichen 
Siegesmahl. Die Recken goffen den Glutwein des Südens in ihre 
durstigen Kehlen, und lauter und lärmender ging die Rede hin und her 
im Kreise der Zecher. Sie sprachen von Guodan (Wodan), dem 
Schlachtengott, von Frigga, der Himmelskönigin, die den Vätern einst 
Sieg und Ruhm verschafft habe. Sie priesen ihre Waffen, ihre Taten 
im Kampfe gegen die Gepiden, und jetzt im schönen Südland, wo sie 
durch das Schwert sich Überfluß und Herrschaft erworben hätten. „Wie 
dort auf erstürmter Königsburg", rief Alboin, „will ich auch hier, in 
der eroberten Hauptstadt meines neuen Reiches, den Schädelbecher 
leeren!" Auf sein Geheiß wurde das von Silber blinkende schreckliche 
Gesäß gebracht. Die Königin Rosamunde saß an seiner Seite und 
hatte bisher nach der gastlichen Sitte germanischer Hausfrauen den 
wackeren Zechern die Becher gefüllt. Er befahl ihr, auch jetzt ihres 
Amtes zu walten. Sie schauderte, zauderte, goß endlich mit zitternden 
Länden das Gefäß übervoll; da rief er trunken von Wein und Äber- 
mut: „Sieh doch, Rosamunde, ich liebe dich mehr als alle Kleinodien 
meines Schatzes, mehr als mein Königreich; beweise mir auch deine 
Liebe und Ergebenheit, indem du mir die Schale zutrinkst." Sie sah 
ihn bittend an; aber ihr Zögern erregte seinen Zorn. Er erhob die 
Land gegen sie — da geschah das Entsetzliche — sie brachte den Schädel 
ihres Vaters an die Lippen. Ob sie trank, wußte niemand, denn sie 
warf alsbald das Gefäß aus die Tafel, daß der Wein darüber floß, 
und sagte: „Dein Wille ist geschehen, aber dein Weib hast du ver¬ 
loren!" Mit diesen Worten erhob sie sich und verließ den Saal. Ein 
dumpfes Murren des Unwillens ging durch die Reihen der Zecher; 
denn es war keiner, der des Königs Tun löblich fand. Er war jedoch 
selbst mit einem Male nüchtern geworden. Er trank nicht mehr, er 
redete nicht mehr, er verließ ohne Gruß die geschmückte Lalle, und die 
Gäste folgten ihm bald nach. Das frohe Gelage hatte einen traurigen 
Abschluß gefunden. 
Der König fand seine Gemahlin nicht im ehelichen Gemache; erst 
am folgenden Tage erschien sie wieder wie sonst und verrichtete
	        
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