Full text: [Teil 4, [Schülerband]] (Teil 4, [Schülerband])

8. Was ich fürHerrlichkeit geschaut 
Mit still anbetendem Erstaunen, 
Was ich gehört für felgen Laut, 
Als Orgel mehr und als Posaunen, 
Das steht nicht in der Worte Macht; 
Doch wer danach sich treulich sehnet, 
Der nehme des Geläutes acht, 
Das in dem Walde dumpf ertönet! 
L. Uhland (1812). 
95. Die Wurmlinger Kapelle. 
1. Luftig wie ein leichter Kahn, 
Auf des Hügels grüner Welle 
Schwebt sie lächelnd himmelan, 
Dort die friedliche Kapelle. 
2. Einst bei Sonnenuntergang 
Schritt ich durch die öden Räume, 
Priesterwort und Festgesang 
Säuselten um mich wie Träume. 
3. Und Marias schönes Bild 
Schien vom Altar sich zu senken, 
Schien in Trauer, heilig mild, 
Alter Tage zu gedenken. 
4. Rötlich kommt der Morgenschein, 
Und es kehrt der Abendschimmer 
Treulich bei dem Bilde ein; 
Doch die Menschen kommen nimmer. 
5. Leise werd ich hier umweht 
Von geheimen, frohen Schauern, 
Gleich als hätt ein fromm Gebet 
Sich verspätet in den Mauern. 
6. Scheidend grüßet hell und klar 
Noch die Sonn in die Kapelle, 
Und der Gräber stille Schar 
Liegt so traulich vor der Schwelle. 
7. Freundlich schmiegt des Herbstes 
Ruh 
Sich an die verlaßnen Grüfte; 
Dort, dem fernen Süden zu, 
Wandern Vögel durch die Lüfte. 
8. Alles schlummert, alles schweigt, 
Mancher Hügel ist versunken, 
Und die Kreuze stehn geneigt 
Auf den Gräbern — schlafestrunken. 
9. Und der Baum im Abendwind 
Läßt sein Laub zu Boden wallen, 
Wie ein schlafergriffnes Kind 
Läßt sein buntes Spielzeug fallen. 
10. Hier ist all mein Erdenlcid 
Wie ein trüber Duft zerflossen; 
Süße Todesmüdigkeit 
Hält die Seele hier umschlossen. 
Nik. Lenau. 
96. Ter Torfkirchhof. 
1. Friedlich Dorf, nach alter 
Sitte 
Hast du noch dein Kirchlein stehn 
In des stillen Hofes Mitte, 
Wo zur Ruh die Toten gehn. 
2. Sonntags wallet die Gemeine 
Beim Geläute da hinaus; 
Zwischen Kreuz und Leichenstcine 
Zieht die Schar ins Gotteshaus. 
3. Wird sie nicht, um Gräber len¬ 
kend, 
Schon zu tiefem Ernst gestimmt, 
Daß die Seel, ihr End bedenkend, 
Besser Gottes Wort vernimmt? 
4. Will sein Kind zur Taufe tragen 
Hier ein Vater wohlgemut, 
Sieht er nicht den Hügel ragen, 
Wo so manches Kindlcin ruht?
	        
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