Full text: Deutsches Lesebuch für die Bedürfnisse katholischer Volksschulen

22. Was sieht man durch das Mikroskop? 
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Gravesend*) 50 und im Kreidekalk vom Antilibanon 40 verschiedene 
Arten. 
Wir treten hin zur Pflanzenwelt. Da ist ein klarer, schnellfließender 
Bach; sein Grund ist von einem saftgrünen Rasen überzogen, der durch die 
sich verfilzenden und verschlingenden Zweige einer Alge gebildet wird. In 
den ersten Zeiten des erwachenden Frühlings lösen wir ein Stuückchen Rasen 
ab, um es daheim zu beobachten. Wir entwirren behutsam einige Fäden, 
und das Mikroskop zeigt uns, daß sie aus einfachen oder bei andern Arten 
aus in Zellen geteilten Schläuchen bestehen, in welchen Kügelchen oder 
Körnchen liegen. Diese, Sporen genannt, fangen, wenn ihre Zeit gekommen 
ist, an, in ihrem Gefängnisse so lange zu drängen, bis sie dessen Wände 
zersprengt haben; sie treten aus, einzeln oder in Haufen, und geraten als— 
hald in lebhafte Bewegung, fahren im Wasser hin und her, tauchen auf und 
ab, daß man meinen möchte, die Pflanze habe ein Tier geboren. Aber 
nein — es ist etwas anderes. Das merkwürdige Ding rudert allerdings 
mittelst zarter, lebhaft sich bewegender Härchen oder Wimpern wie mit 
Schwimmfüßchen; aber seine Bewegung ist eine völlig willenlose, sein Herum—⸗ 
schwärmen hängt von tausend Zufälligkeiten ab; es steuert auf entgegenstehende 
Hindernisse gerade los und bleibt an der Wand des Gefäßes oft hängen, wo 
die mit willkürlicher Bewegung begabten Geschöpfe schnell zurückprallen würden. 
Nachdem die Spore sich 10 bis 20 Minuten herumgetummelt hat, wird ihr 
Lauf immer langsamer, endlich kommt sie zur Ruhe; die Bewegungen der 
Wimpern hören auf; diese selbst verschwinden, die Spore nimmt die Kugel⸗ 
form an, sie bekommt an mehreren Seiten Fortsätze und wächst zur Alge 
aus. Die Spore ist ein Pflanzenkeim. Und wie groß ist eine solche Spore? 
Nun, mit bloßem Auge kann man sie schwerlich sehen, bei 400facher Ver— 
größerung aber erscheint sie so groß wie ein Kirschkern und fast ebenso 
gestaltet. Wie aber diese ersten Regungen einer Pflanze, ebenso zeigt uns 
das Mikroskop die Geheimnisse ihrer höchsten Entwickelung. Es belehrt uns 
über das Wesen der Befruchtung; mit seiner Hilfe erfahren wir, welche 
Funktionen den einzelnen Teilen der Blüte zukommen. Und aus der 
Gesamtheit solcher Anschauungen klärt sich unsere Vorstellung vom Wesen 
der Pflanze, und in der Erkenntnis ihrer Bedürfnisse und Verrichtungen 
finden wir die Mittel, auf rationelle Weise Wachstum Blüte und Frucht zu 
begünstigen, schädliche Einflüsse abzuwehren und nach unsern Zwecken die unent— 
behrliche Thätigkeit des Pflanzenreichs zu erhöhen. Erst durch den Gebrauch des 
Mikroskops ist uns die Zelle als Elementarbestandteil der Pflanze bekannt 
geworden. 
Was uns als widriger Schimmel an Brot und anderen Speisen begegnet, 
verwandelt sich unter dem Mikrostope in den zierlichsten Wald von größerem 
Formenreichtum als alle unsere Laub- und Nadelwälder. Nicht nur die 
Kartoffelkrankheit, sondern sogar tierische und menschliche Krankheiten, wie 
*) spr. Grehws send.
	        
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