Full text: [Abteilung 6 = Für Unter-Sekunda, [Schülerband]] (Abteilung 6 = Für Unter-Sekunda, [Schülerband])

204 A. Epische Poesie. I. Neue vaterländische Dichtung. 
Und erst las ich, doch freilich nicht sehr gut: 
„O liebster Vater, liebe Schwestern mein, 
Wie mögt um mich schon lang besorgt ihr sein! 
Doch Gott sei Dank, ich stand in seiner Hut. 
Ich bin gesund und habe frischen Mut. 
Doch sag' ich euch: Noch bebt mir Mark und Bein. 
Wie sehnt' ich mich nach einer Schlacht! — Doch nein 
Es war zu grausig, zu viel sah ich Blut. 
O, wer ein Menschenherz im Leibe hat, 
Und sei er auch der allerkühnste Held, 
Und stand in dieser Schlacht er, so wie ich — 
Bei Gott, des Schlachtbegier ward übersatt, 
In solchen Menschenelends grausem Feld, 
In solcher Greuel Meer! — 's war fürchterlich! 
O, drum verzeiht, daß nicht am andern Tag 
Ich gleich geschrieben, doch ich konnt' es nicht. 
Von all der wilden Brände grellem Licht, 
Von all der Mordgeschosse Donnerschlag — 
Von all dem Leichenhauf, der um mich lag, 
Von all der Wunden schmerzlichem Gesicht, 
Dem Stöhnen all, bevor das Auge bricht — 
O Gott, wer alles nur beschreiben mag! — 
Von all dem trunknen Zorn im Schlachtgewühl, 
Darin der Mensch zum wilden Tiere wird, 
War so mein Ohr betäubt, mein Aug' umflirrt, 
Mein Herz durchbebt von tiefstem Schmerzgefühl, 
War also mir durchzittert Mark und Bein — 
Ich mußt' erst einen Tag ganz ruhig sein." 
Und wie ich also las, da trat vor mich 
Der Tag der Schlacht von Leipzig, als wär's heut. 
Ach ja, mein Sohn, der Sieg wohl hoch erfreut, 
Doch erst das Ringeil drum ist schauerlich. 
Und selbst durchzittert schaute träumend ich 
Auf meines Sohnes Worte ganz zerstreut; 
Da ward die Wißbegier mir frisch erneut: 
„Lies weiter, Väterchen, wir bitten dich."
	        
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