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III. Aus dem Leben großer deutscher Männer und Frauen.
bessern können; aber auf das Einteilen und haushalten verstand er sich
nicht. Seinen einfachen Tisch im Wirtshause zog er dem glänzendsten
Diner vor, zu dem ihn seine Freunde einluden, denn er durfte sich hier
gehen lassen und aus niemand Rücksicht nehmen. Man kannte auch in
Wien den kleinen ssnstern Mann im grauen Oberrock, der zuweilen mitten
aus der Straße stehen blieb, wenn eine neue Idee ihn erfaßte, oder von
der Tafel aufstand und nach Hause ging, ehe er noch gegessen hatte.
Beethoven war gegen das ganze Wiener Publikum erzürnt, weil
es den leichteren italienischen Weisen Rossinis zujauchzte und die ernstere
deutsche Musik vernachlässigte. Seine Reizbarkeit hatte mit einem Gehör--
leiden zugenommen, das sich seit 1797 bemerkbar machte. Wir lesen
in einem an seinen Freund, den Doktor Wegeler, adressierten Brief
vom Juni 1800: „Mein Gehör ist seit drei Jahren immer schwächer.
Im Theater muß ich mich ans Orchester lehnen, um den Schauspieler
zu verstehen. Die hohen Töne von Instrumenten und Singstimmen
höre ich nicht, wenn ich etwas weit weg bin. Ich habe oft mein
Schicksal verflucht. Plutarch hat mich zur Resignation geführt. Ich
will meinem Schicksal trotzen, obschon es Augenblicke geben wird, wo
ich das unglücklichste Geschöpf Gottes sein werde."
So lange es gehen wollte, verheimlichte der so schwer vom Schick¬
sal heimgesuchte sein Äbel; erst wurde das rechte Ohr taub, dann auch
das linke immer schwächer und schwächer. Der Meister wollte sich die
Leitung der Aufführung seiner Kompositionen nicht nehmen lassen, als
er schon nicht mehr imstande war, das Orchester zu dirigieren; er ward
dann, wenn es nicht recht vorwärts wollte oder die Stimmen aus¬
einander kamen, sehr zornig und vergaß, daß die Schuld an ihm
selber lag. Das gab manche teils komische, teils ärgerliche Szenen.
Doch sollte selbst dem tauben Meister der Töne noch ein schöner
Triumph zuteil werden. Es war seinen Freunden ein tiefer Verdruß,
wenn sie die Gleichgültigkeit sahen, mit der man die klassischen Kompo¬
sitionen Beethovens in Wien behandelte. Sie beschlossen, ein Konzert
zu veranstalten und darin Teile der Missa solemnis und die neunte
Symphonie, die letzte, schwierigste und eigenartigste, zur Aufführung zu
bringen. Das musikalische Fest kam zustande, das Haus war gedrängt
voll, und zum Schluß der Aufführung brach die Zuhörerschaft in stür¬
mischen Beifall aus. Beethoven aber, der von dem Jubel nichts
merkte, kehrte der Versammlung den Rücken zu. Da faßte ihn die
Sängerin Karoline Anger und wendete den Meister nach dem Proszenium
zu, damit er doch wenigstens das hüte und Tücher schwenkende Publi¬
kum sehen möchte. Dieser Moment steigerte gewaltig die Teilnahme