Volltext: Gedichtsammlung aus den letzten 150 Jahren deutscher Dichtung (Teil 3, [Schülerband])

152 
Hebbel. 
192. Abendgesi'chl. 
1. Friedlich bekämpfen 
Nacht sich und Tag: 
Wie das zu dämpfen, 
Wie das zu lösen vermag! 
2. Der mich bedrückte, 
Schläfst du schon, Schmerz? 
Was mich beglückte, 
Sage, was war's doch, mein Herz? 
München, 17. Okt. 1838. 
3. Freude wie Kummer, 
Fühl' ich, zerrann, 
Aber den Schlummer 
Führten sie leise heran. 
4. Und im Entschweben, 
Immer empor, 
Kommt mir das Leben 
Ganz wie ein Schlummerlied vor. 
Sämtl. Werke. VII, S. 94. 
193. Das 
1. Der Maurer schreitet frisch heraus, 
Er soll dich niederbrechen; 
Da ist es mir, du altes Haus, 
Als hörte ich dich sprechen: 
„Wie magst du mich, das lange Jahr' 
Der Lieb' und Eintracht Tempel war, 
Wie magst du mich zerstören? 
2. Dein Ahnherr hat mich einst erbaut 
Und unter frommem Beten 
Mit seiner schönen, stillen Braut 
Mich dann zuerst betreten. 
Ich weiß um alles wohl Bescheid, 
Um jede Lust, um jedes Leid, 
Was ihnen widerfahren. 
3. Dein Vater ward geboren hier 
In der gebräunten Stube, 
Die ersten Blicke gab er mir, 
Der muntre, kräft'ge Bube. 
Er schaute auf die Engelein, 
Die gaukeln in der Fenster Schein, 
Dann erst auf seine Mutter. 
4. Und als er traurig schlich am Stab 
Nach manchen schönen Jahren, 
Da hat er schon, wie still ein Grab, 
In meinem Schoß erfahren; 
In jener Ecke saß er da, 
Und stumm und händefaltend sah 
Er sehnlich auf zum Himmel. 
5. Du selbst — doch nein, das sag' ich nicht, 
Ich will von dir nicht sprechen; 
Hat dieses alles kein Gewicht, 
So laß nur immer brechen. 
alte Haus. 
Das Glück zog mit dem Ahnherrn ein; 
Zerstöre du den Tempel sein, 
Damit es endlich weiche. 
6. Noch lange Jahre kann ich stehn, 
Bin fest genug gegründet, 
Und ob sich mit der Stürme Wehn 
Ein Wolkenbruch verbündet; 
Kühn rag' ich wie ein Fels empor, 
Und was ich auch an Schmuck verlor, 
Gewann ich's nicht an Würde? 
7. Und hab' ich denn nicht manchen Saal 
Und manch geräumig Zimmer? 
Und glänzt nicht festlich mein Portal 
In alter Pracht noch immer? 
Noch jedem hat's in mir behagt; 
Kein Glücklicher hat sich beklagt, 
Ich sei zu klein gewesen. 
8. Und wenn es einst zum letzten geht, 
Und wenn das warme Leben 
In deinen Adern stille steht, 
Wird dies dich nicht erheben, 
Dort wo dein Vater sterbend lag, 
Wo deiner Mutter Auge brach, 
Den letzten Kampf zu streiten?" 
9. Nun schweigt es still, das alte Haus; 
Mir aber ist's, als schritten 
Die toten Väter all' heraus, 
Um für ihr Haus zu bitten; 
Und auch in meiner eignen Brust, 
Wie ruft so manche Kinderlust: 
Laß stehn das Haus, laß stehen!
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.