Full text: [Teil 7 = Klasse 3, [Schülerband]] (Teil 7 = Klasse 3, [Schülerband])

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Vorderfüßen unbeweglich an ein Ästchen und gleicht dann so täuschend 
einem verwelkten Pappelblatt, daß nicht allein der unter dem Baume 
dahinwandelnde Mensch, sondern auch mancher insektenfressende Vogel ihn 
dafür hält und ihn unbehelligt läßt. Manche Schmetterlingsarten ahmen 
in Zeichnung und Färbung so täuschend ein welkes Blatt nach, daß sie 
sogar nebst den Pilz- und Schimmelflecken welker Blätter unregelmäßige 
Lücken und Löcher Zeigen, als ob das Blatt schon von Kerfen angefressen 
oder dem gänzlichen Vermodern nahe sei. Daß gerade welke Blätter nach¬ 
gebildet werden, kann nicht befremden, wenn wir bedenken, daß ein derartiges 
Blatt für die meisten, wenn nicht für alle Tiere ungenießbar ist und daher 
gar nicht erst zu einer genauen Besichtigung reizt. Wohl die vorzüglichste 
Nachäffung eines Blattes finden wir bei einer Art Heuschrecken, die geradezu 
„wandelnde Blätter" genannt werden. Das wandelnde Blatt (Phyllium 
siceifolium) ist eine ungefähr 10—12 cm lange Heuschrecke, deren grüne 
Flügel, nebst Farbe und Gestalt der Blätter, auch noch genau deren Geäder 
nachahmen, und da noch obendrein die Schenkel blattartig erweitert und 
ebenfalls grün gefärbt sind, so ist das auf den Blättern der Gesträuche 
lebende Tier von den Blättern nicht zu unterscheiden, solange es sich 
ruhig verhält. 
Nahe Verwandte dieser Schrecken, die Stab- und Gespenstschrecken, sind 
dagegen vollständig einem dürren Aste gleich. Die Körper mancher dieser 
Tiere sind bei dem winzigen Durchmesser von 3—5 mm 15—30 cm lang, 
haben dazu noch lange, dünne Beine und gleichen daher in ihrer bräun¬ 
lichen Farbe einem dürren Ast auf das genaueste. Infolge ihrer abenteuer¬ 
lichen Gestalt haben diese Heuschrecken zu den wunderlichsten Fabeln und 
Märchen Veranlassung gegeben und sind noch heute den Bewohnern ihrer 
Heimatländer höchst verdächtige Erscheinungen. Die Maskierung in Zweige 
und Ästchen können wir auch in unseren Zonen häufig beobachten. Fast 
alle Raupen der zahlreichen Familien der Spanner (Geometridae) gleichen 
im Ruhezustände täuschend einem kleinen Zweig ihrer Wirtspflanze. Die 
Raupe des Birkenspanners z. B. heftet sich, nachdem sie sich satt gefressen, 
mit den hinteren Fußpaaren an einen Zweig fest und streckt den ganzen 
Körper in gerader Linie unter einem spitzen Winkel nach oben: sie nimmt 
die sogenannte „Aststellung" ein und bleibt unbeweglich in derselben, so 
daß sie genau aussieht wie ein kleines, vom Zweige abstehendes Ästchen, 
zumal da ihre Körperfarbe genau der des Wohnbaumes gleichkommt und 
außerdem einige kleine Wärzchen und Knötchen die Astähnlichkeit noch er¬ 
höhen. Berührt man eine solche Spannerraupe, so fällt sie wie ein Ast¬ 
stück zu Boden und bleibt auch hier noch ihrer Rolle treu, indem sie noch 
lange Zeit, ohne sich zu regen, liegen bleibt. Eine so genaue, bis ins 
einzelne gehende Kopierung ist gerade bei den Raupen nötig, denn die 
scharfen Vogelaugen, die begierig die Bäume und Sträucher nach diesen 
fetten Bissen absuchen, sind durch schlechte Masken nicht zu täuschen.
	        
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