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oder buntbemalten Bielkcimerli ans der Schulter, den Zug. Ihm folgen
die schönsten und größten Kühe mit den fußhohen, messingblechenen „Trychlen"
(Glocken), die an breiten, ledernen, mit allerhand farbig ausgenähtem Putz¬
werk versehenen Halsbändern hängen. Diese Glocken, deren gewöhnlich nur
drei bei einem Zuge sind, bauchen oberhalb am Henkel ziemlich breit aus,
oft einen Fuß im Durchmesser, laufen nach unten schmaler zusammen und
verursachen solch einen heillosen, trommelähnlichen-alarmierenden und doch
nicht unharmonischen Lärm, daß man ihn bei geeigneter Luft eine Stunde
weit hört. Man legt diese Riesenschellen den Kühen nur für die Dauer
an, während welcher der Zug durch die Dörfer geht, um Pracht mit der
Herde zu treiben und alles Volk herbeizulocken. Ist dieser Zweck erreicht,
dann wird dieses gewichtige Spectakel- Instrument den Kühen wieder vom
Halse genommen, weil erfahrungsgemäß das lange Tragen derselben den
Lungen der Thiere nachtheilig ist.
Jetzt entstehen in den Dörfern, durch welche der Zug kommt, völlige
Volksaufläufe; denn Alt und Jung will des „Franz-Antony-Lismer-Seppelis"
schönen „Chüena" (Kühe) die Revue passieren lassen und mit Kennermiene-
deren Bau und „G'schlachtheit" prüfen. Blökend und springend, gleich
als ob sie es wisse, daß es hinaufgehe zu den gcwürzigen, nahrhaften Alp- '
weiden, folgt nun, in lange Reihen aufgelöst, die ganze Herde der Kühe,
Galtlingc, Ziegen und Lämmer, — mitten darunter brummend und mürrisch'
der Zuchtstier, heute der Sündenbock des allgemeinen Spottes; denn der
Volkswitz bindet ihm altherkömmlich den Melkstuhl, mit Blumen geschmückt,
zwischen die Stirngabel der Hörner. Neben dem Zug gehen im leinenen
Futterhemd und in der groben Zwilchhose der „Gaumer" (Hirt) und der
„Handbub", dem Zusenn mit „Juchz'gen" und Jodeln secundierend. Den
Schluß endlich bildet das Saumroß mit den Käserei -Geräthschaften und
der Herdenbesitzer in unverkennbarem Selbstbewußtsein des augenblicklich
zu feiernden Triumphes.
Im allgemeinen bleiben Weiber und Kinder in den Thaldörfern zurück.
Aber es gibt in Graubünden, z. B. im Davos und in Mutten, sowie
in Wallis, Ortschaften, die mit Kind und Kegel ins Sommerdorf auswandern,
und ihren Winteraufenthalt, die Häuser verschlossen, vollständig verlassen;
— höchstens daß ein alter Mann als Wächter zurückbleibt. — So geht's
hinauf auf die Berge, in die Alpen.
Das ist die malerische, fröhliche Seite eines Alpenfahrt-Bildes. Aber
es gibt auch Herden-Expeditionen im Hochgebirge, bei denen es nicht nur
beschwerliche Passagen zu überwinden, sondern Kräfte und Umsicht zu
brauchen, ja sogar das Leben zu riskieren gilt. Dies ist vornehmlich der
Fall, wenn die Alpweide jenseit eines Gletschers liegt und es gilt, die
schlüpfrige Eisfläche mit ihren verborgenen Spalten und Schründen zu
überschreiten. Da bedarf es denn besonderer baulicher Vorkehrungen; mit
Hülfe des Pickels und der Axt hat man Stege und Bretterbrückcn ge¬
baut, oder Wege durch die Eislabyrinthe gebahnt und mit sandigem Geröll
und Erde bestreut, um dem Vieh den Widerwillen gegen das ihm un¬
heimliche, fremde und trügerische Element zu benehmen. Oft^ sträubt sich
die Herde mit unverwüstlichem Trotz, die glasige Eisspiegelfläche zu be¬
treten, und die Sennen sind genöthigt, zu den verzweifeltsten Zwangsmitteln