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Höhenunterschied in anderen Gegenden? Aber über einem Strom, breiter
als der Rhein bei Köln, liegt die turmreiche Stabt einzig in ihrer Art.
Im Mittelgebirge ist selten ein Tal so tief und steil, daß man nicht
bis auf seinen Grund sähe. Daher tritt das von oben gesehene Wasser
fast immer im Bilde hervor, und man verfolgt seine Windungen, die dazu
beitragen, unseren Blick fortzuleiten, fortzuziehen. Im Hochgebirge da¬
gegen schließen die hohen wände die Täler ab, und wenn nicht die
leuchtenden Schilder der Seen wären, sähe man in manchem Fernblick wenig
flüssiges Wasser. Darin liegt ein Vorzug der Mittelgebirgs- und Hügel¬
landsbilder, dessen sich die bewußt werden sollten, die geneigt sind, die
Alpen landschaftlich über alles zu stellen. In weichem Boden arbeitet
sich der Fluß bis auf einen härteren Grund durch, den er bloßlegt, und in
seinem Bett liegen dann Gesteine, von denen die Bodendecke nichts verrät.
So zeigt vor allem der helle, harte, kiesbestreute Boden des raschen
Moorbächleins den Einschnitt bis auf den Untergrund des weichen Moores.
Je mehr die Flüsse durch mitgerissenen Schutt in der Regel getrübt
sind, desto wohltuender berührt uns die Rlarheit der Bäche, die über
Felsen springen, der langsamen, dunkeln Wald- und Moorgewässer, der in
starken Quellen unmittelbar aus der Erde hervorbrechenden und der aus
Gletscher und Schneeschmelzen entstehenden. Diese sind zwar oft im Anfang
trüb, aber zur Schönheit des Gebirges gehört die rasche Rlärung seiner
Gewässer. In der Tiefe lagern sich Sand und Schlamm ab, in der höhe
entstehen immer neue Wassermassen, die sich zu Firn und Lismassen
schichten, aus deren kristallenen Sägern sich die Abflüsse der Alpen nähren.
Man sieht hier Farben wie im Tieflande und zwar auch bei den Flüssen.
Rur im Meere und in Seen, wo die Menge des Wassers zu groß ist, um
nicht das Recht ihrer eigenen Ratur, der ihr eigenen Rlarheit und Farbe
zu haben, treten uns noch die Eigenschaften des reinen Wassers ganz un¬
getrübt entgegen. Ein großer Bergfluß von so reinem Türkisblau, grün
wie der Isonzo selbst nahe seiner Mündung, z. B. bei Gradiska, ist eine
außerordentliche Seltenheit. Er wirkt auch auf den Betrachter in diesem
Sinne viel ergreifender als ein entsprechend grüner oder blauer See.
Denn wir sind gewöhnt, mit dem in Masse sich bewegenden Wasser Trüb¬
heit notwendig verbunden zu denken.
Vas bewegliche Wasser ist der Bote, der Nachrichten von oben nach
unten trägt, vom Gebirg ins Tal und vom Sande hinaus ins Meer.
Jeder Gebirgsbach flößt Pflanzenkeime ins Flachland hinaus, und so hat
das Isartal selbst bei München eine Menge Alpenpflanzen. Die Reinheit
und die lichten Farben des Wassers sind auch Botschaften aus der höhe,
wo es aus Gletschertoren oder mindestens aus Firnflecken entsprungen ist.
Wer gar aus den feuchtwarmen Wäldern Assams an den Brahmaputra