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Eisack zum letztenmal. Als Jüngling in wallenden Locken hatte er sie ver¬
lassen, als silberhaariger Greis stieg er durch düstere Kastanienwälder und
liebliche Bergwiesen zum väterlichen Rittersitze hinauf, um den Schauplatz
85 seiner Jugendfreuden einmal noch mit wehmütigem Lächeln zu überblicken
und den Gespielen seiner Kindheit einmal noch die Hand zu drücken; aber
mit Thränen im Auge stieg er wieder zu Thal. Denn wie hatte sich alles
geändert! Wald Und Feld hatten ihre Plätze vertauscht, die besten Freunde
starrten ihn grußlos an, und die er als blühende Jünglinge und Jung-
vo frauen zurückgelassen hatte, die wankten am Stabe zitternd an ihm vorbei.
Nur das Wasser floß wie einst, ein Bild der Ewigkeit, der sich auch sein
Haupt zuneigte.
In Würzburg schloß der Sänger des linden Frühlings und der reinen
Minne, der glühende Freund seines deutschen Vaterlandes, der fromme,
95 gläubige Christ seine müden Augen; doch bevor sie brachen, gedachte er noch¬
mals des Vogelweiderhofes jenseits des Brenners. Da packte den sterbenden
Sohn der Berge noch einmal das Heimweh mit all seiner rätselhaften Macht,
und sein letzter Wunsch war: „Gebet den süßen Vögelein, von denen ich im
Schatten des Waldes das Singen gelernt habe, gute Weide an meinem
100 Grabe!"
Und so geschaht. Lange Jahre fanden die Vögelein an Walthers
Grab schmackhafte Körnlein und frischen Trunk, von milder Hand gespendet,
bis der edle Walther selbst vergessen wurde, wie das in langen Jahrhunderten
wohl geschehen kann.
105 Aber die Gelehrten vergaßen seiner doch nicht ganz. Walthers Dich,
tungen waren ein zu beredtes Zeugnis seiner geistigen Größe, und so forschten
die unermüdlichen Männer so lange nach, bis sie das herausbrachten, was
ich dem Leser soeben erzählt habe.
Joseph Wichner. Aus der Mappe eines Volksfreundes. 1895*. S. 266 ff.
Vgl. Lehmann, Kulturgeschichtliche Bilder, Nr. 3: Im Rittersaale. — Luchs,
Kulturhist. Wandtafeln, Nr. 16.
18. Der Trifels.
An dem Trifels besitzt Rheinbayern ein historisches Kleinod; denn
Europa hat kaum ein Bergschloß, welches diesem den Rang streitig machen
könnte in Ansehung des Reichtums seiner Geschichte. Hier bewegte sich einst
das großartigste Leben, sowohl was menschliche Kraft und Pracht, als was
5 menschliches Elend betrifft. Könige haben hier geherrscht, Könige hier im
dunkeln Kerker geschmachtet.
Aller Wahrscheinlichkeit nach ist der Gründer des Domes zu Speyer,
Konrad II., auch der Erbauer dieser Feste, die als Reichsfeste den Paß nach
Lothringen beherrschen sollte. Urkundlich wird sie 1113 zum erstenmal ge-
10 nannt. Friedrich Barbarossa vergrößerte sie, und bis auf Rudolf von Habs¬
burg herab blieb sie zugleich Schatzkammer und Staatsgefängnis.
Bei der fast gänzlichen Zerstörung dieses herrlichen Schlosses scheint die
Vorsehung auf wunderbare Weise dafür gesorgt zu haben, daß die beiden merk-