Zweite Abteilung
Deutscher Dichtung Werdegang
40. Hans Sachs.
Die Stadt Nürnberg hatte das Glück, im letzten Viertel
des fünfzehnten Jahrhunderts drei Männer hervorzubringen,
denen keine Stadt in Deutschland ein Triumvirat von gleicher
Vortrefflichkeit zu gleicher Zeit entgegenstellen konnte: Albrecht
Dürer, Willibald Pirkheimer und Hans Sachs. Die
Eltern des letzteren waren arme, gemeine Bürgersleute; er hatte
ihnen aber einen dauerhaft glücklich organisierten Körper, einen
hellen Kopf, ein an allem teilnehmendes und doch immer fröh¬
liches Herz und eine gute Erziehung zu danken. Was hätten
ihm vierundsechzig Ahnen Besseres geben können? Wenn jemals
ein Mensch zum Dichter geboren worden ist, so war's Hans Sachs.
Die holdselige Meistersängerkunst, die zu seiner Zeit in Nürnberg
und in den andern vornehmsten Reichsstädten noch in großen
und verdienten Ehren war, gab die erste Gelegenheit zu Ent¬
wicklung des Dichtergeistes, den die Natur so reichlich über ihn
ausgegossen hatte. Zu eben der Zeit, da er, nach Endigung
seines Schullaufs, das Schuhmacherhandwerk erlernte, empfing
er den ersten Unterricht in der Kunst des Meistergesangs von
Leonhard Nunnenbeck, dessen er in einem seiner Gedichte dank-
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A. Bock. Lesebuch, V. Band.