K. S tieler, Paris hat kapituliert. 43
Der Förster streicht mit der Hand über die Scheiben und lugt
empor, aber die funkelnden Sterne sind stumm. Und doch sind es die¬
selben Sterne, die über dem Jubel der nordischen Hauptstadt glänzen,
über der Verzweiflung von Paris, über der Krone des neuen Reiches.
„Es wird heut eine eisige Nacht!" sagt der Förster gedankenvoll; „wenn
es so weitergeht, erstarrt der Schnee so, daß er wohl die Last eines
Menschen trägt. Dann mag es einer von den Burschen wagen und
nach Schliersee hinuntergehn, damit wir hören, wie es draußen steht;
die lange Einsamkeit ist entsetzlich." Noch ehe es neun schlug, ward
die Lampe gelöscht, und totenstill ward es im stillen Hause.
Es mochte drei Stunden nach Mitternacht sein, ein stechender Frost
zog den Schnee zusammen — da tönte in der Nähe des Hauses ein
Schuß. Der Förster fuhr empor; wie wäre es möglich, daß ein
Menschenkind des Nachts durch diese Wüste zöge. Er horchte auf, er¬
blickte durch das mondhelle Fenster und — sieh da, es war in der
Tat eine schlnnke Gestalt, die vorsichtig iiber den Schnee hintastete, die
Füße mit hölzernen Reifen gesichert, wie man sie im Gebirge zur
Winterszeit trägt, um sich vor der Gefahr des Versinkens zu
schützen.
Bald pochte es sacht unten ans Tor, und als der Förster hinab¬
stieg und öffnete, stand ein Jügerbursche von Schliersee vor ihm, der
den Hut lüstete und ihm lachend entgegenrief: „Paris hat kapituliert!"
Am Nachmittage war die Nachricht ins Dorf gelangt, und sein Herr in
Schliersee wollte es sich nicht versagen, seinem Kollegen die kostbare
Botschaft zuzustellen. Er fragte, wer den Mut hätte, über den Spitzing
emporzusteigen, und der jüngste und leichteste seiner Burschen erklärte
sich bereit, das Wagstück zu unternehmen. Gegen Mitternacht, wo der
Schnee sich härtet, schlich er davon wie ein Spion, der es versucht, in
eine eingeschlossene Feste zu dringen; er hörte unterwegs, wie das Eis
am Spitzingsee zerbarst, wie der Frost die Tannen niederwarf; mitten
durch das unheimlich wilde Leben der Winternacht drang er vor, klafter¬
hoch über der Straße, auf der er im Sommer dahinzog, bis das kleine,
schlafende Försterhaus endlich in Sicht kam. Da schoß er im Jubel
die Büchse ab; sein Schutzpatron, meinte er, habe ihm diesmal wohl
beigestanden auf dem gefahrvollen Pfade, und solche Botschaft sei einen
Freudenschuß wohl wert.
So sprach der flinke siebzehnjährige Bursche; das blaue, feurige
Auge des Försters aber erglänzte; er hatte von kämpfenden Soldaten
geträumt, und nun stand der Bote des Sieges auf seiner Schwelle.
Natürlich wollte er ihn iiber Nacht nicht mehr von hinnen lassen, aber
der Junge drängte; wenn der Tag beginnt, wird der Schnee wieder
weich; die Nacht ist die rechte Zeit zu solcher Wanderschaft. Darum
zog er fröhlich dahin, sein ferner Jodler verhallte über dem Schnee.